„Euer Rolf“
12. September 2020 von Thomas Hartung
75 Pfennig für „Micky Maus“ – oder nur 60 Pfennig für „Fix und Foxi“? Seit Ende der 1950er Jahre standen bundesdeutsche Kinder vor dem Kiosk und mussten sich entscheiden, wofür sie ihr Taschengeld ausgaben. Der Mann, der als „deutscher Walt Disney“ den amerikanischen Comics mit Figuren Konkurrenz machte, von denen er nie auch nur eine einzige gezeichnet hatte, wird in seinem Leben eine erstaunliche Metamorphose vollziehen – vom sächsischen Drogeriegehilfen über den bayrischen Verleger hin zum amerikanischen Forstwirt: Rolf Kauka. Nur Wochen nach der Eröffnung des „Fix & Foxi Abenteuerlands“ im „Ravensburger Spieleland“, war er am 13. September 2000 gestorben.
Die beiden namensgebenden Hauptfiguren sind Füchse, Zwillingsbrüder, aufgeschlossen, engagiert und sozial eingestellt und sollen den jungen Lesern als vorbildhafte Identifikationsfiguren dienen. Um die kleinen Füchse herum entstand ein Universum, das wie eine Neuauflage der Disney-Welt wirkt: Aus Entenhausen wird Fuxholzen im Landkreis Grünwald im Staat Kaukasien – vermutlich eine Anspielung auf Kauka – Daniel Düsentrieb mutiert zu Professor Knox und der zunächst bösartige Lupo verwandelt sich in eine Art Goofy in Latzhosen. „Die Welt ist ganz ähnlich aufgebaut. Nur seine Typen sind viel flacher und eindimensionaler als die Disney-Figuren“, erklärt Comic-Experte Bernd Dolle-Weinkauf vom Institut für Jugendbuchforschung an der Universität Frankfurt im WDR. 750 Millionen Hefte wird Kauka verkaufen – zeitweise mit einer wöchentlichen Auflage von über 400.000 Stück.
Als er am 9. April 1917 als Sohn eines Hufschmieds in Markranstädt südlich von Leipzig geboren wird, war dieser Erfolg nicht abzusehen: Kauka absolvierte zwar die örtliche Volksschule, verließ die Realschule in Leipzig aber vorzeitig und blieb nach seiner Ausbildung noch zwei Jahre in einer Markranstädter Drogerie, ehe er aus eigenem Entschluss kündigte. Zwischen 1936 und 1938 verliert sich seine Spur: Es sind einige Cartoons für die Leipziger Neuesten Nachrichten und das Weißenfelser Tageblatt mit seiner Signatur bekannt, seiner späteren Selbstauskunft, er habe ein Gymnasium besucht und vier Semester Betriebswirtschaft studiert, ist zweifelhaft. 1938 leistete er den Reichsarbeitsdienst ab und wurde anschließend zum Wehrdienst eingezogen. Als „Presse-Zeichner“ bewarb er sich dann bei der Wehrmacht als Berufsoffizier. Im Krieg nahm er am Westfeldzug teil und wurde an der Ostfront eingesetzt. 1943 heiratete er die angehende Ärztin Erika Bahre und bekam mit ihr drei Töchter.
„sehr bewährte deutsche Kultur“
Als mehrfach dekorierter Oberleutnant eines Flakregiments setzte er sich bereits einige Wochen vor der endgültigen Kapitulation zu seiner Familie nach Prien am Chiemsee ab. Insgesamt wird er viermal heiraten und mit seiner zweiten Frau nochmals zwei Kinder haben, darunter seinen einzigen Sohn. 1947 gründet er den Kauka-Verlag Prien und verlegt einen „Leitfaden für Polizeibeamte“ – für einige Jahre die einzige Publikation. Er findet eine Anstellung im neuen „Verlag der Zwölf“ München und gründet mit dem Schriftsteller und Verleger Harry Schulze-Wilde 1948 die „Münchener Verlagsbuchhandlung Harry Schulze-Wilde & Co.“. Dabei firmierte er als „Dr. Rudolf Kauka“ – den Doktortitel entlehnte er offenbar von seiner frisch promovierten ersten Ehefrau.
1949 wird die Firma mit dem Zusatz „Rudolf Kauka OHG“ fortgeführt. Verlegt wird zum einen juristische Fachliteratur, zum anderen Unterhaltung in Form von Romanheften und Magazinen. Kauka experimentiert mit Themen und Formaten, manche Magazine erleben nur wenige Ausgaben. Die überformatige Illustrierte ER – die Zeitschrift für den Herrn gehört zu den ersten aus dem Kauka Verlag, der offiziell erst jetzt im Handelsregister eingetragen wird. Ende 1952 veröffentlicht Kauka die Jugendzeitschrift Colombo, die sich vorwiegend Erzählungen und Reportagen aus aller Welt widmete, aber auch einen ersten Kurzcomic enthielt: einen Pantomimenstrip mit einem Strichmännchen namens Dagobert, der vom Münchener Kunstmaler und Illustrator Dorul van der Heide beigesteuert wurde. Als parallel dazu die ersten US-amerikanischen Comics den westdeutschen Markt eroberten, erkannte Kauka die Marktlücke – und die Chancen.
Zuerst griff er auf Figuren der deutschen Literaturgeschichte und Sagenwelt zurück: „Seine Magazine sollten einen edukativen Ansatz verfolgen, und so machte er Till Eulenspiegel und Münchhausen zu den wichtigsten Protagonisten“, erklärt Kulturwissenschaftlerin Linda Schmitz im Tagesspiegel. Das bestätigte Kauka viel später „Ich wollte die guten Seiten des Entertainment nehmen und dazu etwas von unserer doch sehr bewährten deutschen Kultur, die manchmal so oberlehrerhaft ist, aber der Welt sehr viel gegeben hat. ” Im Editorial dieser Hefte grüßte er väterlich „Euer Rolf”.
In der fünften Ausgabe von Till Eulenspiegel treten Fuchs und Wolf als Widersacher auf – damit zitiert Kauka Goethes Epos „Reineke Fuchs“. Schon bald entwickelten sich aus diesen anfänglichen Nebenfiguren die Füchse „Fix und Foxi“. 1955 wurde das Heft nach ihnen benannt. Aus dem dummen Wolf wurde die Figur „Lupo“, später ein Publikumsliebling mit eigenem Jugendmagazin. „Fix und Foxi verkörpern erstmal jugendliche Figuren. Und bei ihnen geht es immer um diesen Konflikt zwischen dem gewitzten Kleineren und dem großen Starken in der Person des bösen Wolfs Lupo“, begründet Schmitz den Erfolg der Serie.
Da es in der jungen Bundesrepublik an geeigneten Comic-Zeichnern mangelte, engagierte Kauka erfahrene Illustratoren aus Jugoslawien, Italien und Spanien. Der Illustrator Walter Neugebauer, später auch Zeichner des Haribo-Goldbären, veränderte die zuerst von Dorul van der Heide entworfenen, realistischeren Fuchs-Figuren und verlieh ihnen anthropomorphe Züge. Kurz darauf stieg er zum Art Director des Verlags auf. 1958 ließ Walt Disney Rolf Kauka nach Kopenhagen kommen und bot ihm einen lukrativen Vertrag an, um die inzwischen lästige Konkurrenz loszuwerden. Kauka lehnte ab.
Ab 1964 erschienen in Lupo und anderen Magazinen franko-belgische Comic-Serien wie „Pit und Pikkolo“ (Spirou und Fantasio), „Tim und Struppi“ (Tintin), „Die Schlümpfe“ (Les Schtroumpfs) oder Lucky Luke, die vornehmlich aus dem belgischen Verlagshaus Dupuis stammten. Für Streit sorgt nicht nur bei diesen Serien die damals noch gängige Praxis, die Geschichten einfach einzudeutschen: Statt einer möglichst originalgetreuen Übersetzung erfanden die deutschen Redakteure einen „passenden Text“. Der Streit kulminierte bei „Asterix und Obelix“, für die Kauka auch die Lizenz erhält.
Siggi statt Asterix
So wird in „Asterix und die Goten“ (1965) thematisiert, wie die Westgoten in Gallien einfallen, den Sieger des jährlichen Druidenwettstreits entführen und mit seiner Hilfe auf Eroberungszug gehen wollen. Im gotischen Kerker schmiedet Wettstreitgewinner Miraculix mit Asterix und Obelix den Plan, einen Bürgerkrieg zu initiieren, damit die Goten für die nächsten Jahrhunderte nicht mehr auf die Idee verfallen, ihre Nachbarn zu überfallen. Die „asterixinischen Kriege“ brechen prompt aus, und die drei Gallier kehren unbehelligt in ihr Dorf zurück, wo man sie schon für tot gehalten hat und ihre Wiederkehr mit der traditionellen Feier unter Sternenhimmel zelebriert.
Diese Episode war die dritte, die Kauka als „Siggi und die Ostgoten“ veröffentlicht: nach „Siggi und die goldene Sichel“ („Die goldene Sichel“) und „Kampf um Rom“ („Asterix als Gladiator“) sowie noch gefolgt von „Siggi der Unverwüstliche“ („Asterix der Gallier“, alle 1965-1966). Deutlich wird bereits an den Titeln, dass er die weltweit sicher stärkste Umdeutung des Originalcomics vornahm. Denn getreu der zeitgenössischen Manier, importiertes Comic-Material einem vorgestellten deutschen Leserhorizont anzupassen, machen die Texter aus den drolligen Galliern wackere Germanen mit Namen Siggi und Babarras, die im rheinischen „Bonnahalla“ den Besatzern in „NATOlien“ tapfer die Stirn bieten, unterstützt von einem „Hexenmeister Konradin“ in Anspielung auf den ersten Kanzler der jungen Bundesrepublik, Konrad Adenauer, zu dem der Druide Miraculix mutiert war.
Die römischen Feinde reden sich übrigens mit „Boys“ an und kommen sprachlich auch sonst recht angloamerikanisch daher: „You forget wohl, dass we are the winner“. Die Kritik an der Bonner Republik war überdeutlich: Kauka sei „deutschnational und stockreaktionär“, so Matthias Heine in der Welt. Im schwierigen Prozess des sprachlichen und kulturellen Transfers einer Übersetzung des Comics wurde durch nationaldeutsche, xenophobe und teilweise antisemitische Interpretationen aus der Eindeutschung eine mitunter witzlose Germanisierung. Der geldgierige Bösewicht der Sichelschieberbande sprach mit jiddischem Akzent, und über Babarras’ Hinkelstein sagt Siggi etwa: „Musst du denn ewig diesen Schuldkomplex mit rumschleppen? Germanien braucht deine Kraft wie nie zuvor.“ Aus dem Hinkelstein war eine Auschwitzkeule geworden.
In der verfälschenden Kauka-Übersetzung wurden in Anlehnung an die deutsch-deutsche Teilung auch noch allzu offensichtlich die Westgoten zu Westdeutschen und die Ostgoten zu Ostdeutschen umgeschrieben: Sie sprachen mit sächsischem Dialekt, redeten sich mit „Genosse“ an und sprachen in ihren Sprechblasen mit roter Antiqua. Goscinny und Uderzo hatten sich ursprünglich für die gotische Schrift, die Fraktur, entschieden, um die Sprache vom Gallischen und Römischen, der Normalschrift Antiqua, abzugrenzen.
Außerdem wurde bei den gotischen Namen aus dem Suffix –ix ein –ik: Cholerik, Holperik, Elektrik, Lyrik, Mickerik, Rhetorik usw. In Anlehnung an die damalige DDR-Nomenklatur hießen ihre Führer und Agenten aber Hulberick (nach Walter Ulbricht), Stooferick (Willy Stoph) oder Benjaminick (Hilde Benjamin). Das Missionsziel von Häuptling Hullberick las sich so: „Mir ham den besten westgot‘schen Druiden zu kaschen und zurück ower die Grenze zu bringen, vorschtand‘n! Mit seinen Kunststückchen muß‘r uns dann bei der Invasion nach Bonnhalla gegen die Kapitalisten helfen.“
Die Übersetzung führte zu einer politischen Debatte und dazu, dass der Comic der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vorgelegt wurde – ohne Ergebnis. Schließlich wurden auch Uderzo und Goscinny auf die zu offensichtliche „Germanisierung“ aufmerksam. „Wir kauften uns eine Ausgabe, und dann ist uns der Himmel wirklich auf den Kopf gefallen“, erinnert sich Uderzo. Auf sein und Goscinnys Betreiben kündigte der Verlag den Vertrag mit Kauka, der seitdem als stockkonservativ gilt.
„nobel oder kleinkariert“
Zu Kaukas Hochzeiten erschienen bis zu zwölf verschiedene Zeitschriften, darunter das Vorschulheft Bussi Bär, das in zehn Sprachen übersetzt wurde. Kauka verkaufte seine Comics nicht nur in mehreren Ländern Europas, sondern auch in Mexiko und Brasilien. Neben Fix und Foxi wurden legendär das Pauli-Universum aus Maulwurfshausen, das Tom-und-Biberherz- sowie das Mischa-im-Weltraum-Universum sowie die Pichelsteiner. Er sagt von sich selbst, dass er die Figuren entwerfe und deren Charakter konzipiere. Gleichzeitig dürfe der Leser nicht merken, wenn unterschiedliche Zeichner am Werk sind.
Kauka zieht mit Studio und Familie in ein Schlösschen in den vornehmen Münchener Vorstadtort Grünwald, wo er wie ein Despot regiert. Sein langjähriger Mitarbeiter Peter Wiechmann erinnert sich im WDR: „Er war in einem Atemzug nobel oder kleinkariert. Stimmungsumschwünge waren an der Tagesordnung. Es war immer ein Wechselbad der Gefühle, mit ihm zusammen zu arbeiten.“ 1966 erwirbt er Gut Eichenhof bei Freising. 1973 verkauft er seine Comic-Fabrik für damals ungeheuerliche 28 Millionen Mark an den Pabel-Moewig-Verlag, war aber klug genug, die Rechte an den beiden Figuren Fix und Foxi zu behalten – was ihm jährlich eine weitere Million brachte.
Zwei Jahre später gründete er die Kauka Comic Akademie, eine Schule für Comic-Autoren. 1982 verkauft er Gut Eichenhof wieder und lässt sich nicht zuletzt aus Klima- und Gesundheitsgründen mit seiner vierten Ehefrau Alexandra auf der 2 000 Hektar großen Chinquapin-Plantation nordwestlich von Thomasville im Süden Georgias nieder. Er bezeichnete sich nun schlicht als Forstwirt: Er pflanze Bäume an und verkaufe Holz. Von seinem mediterranen Herrenhaus, auf dem seine Comicfigur Lupo als Wetterhahn thronte, fuhr er jeden Tag hinaus zu seinem Fluss, dem Pine Creek, um mit großen Fleischbrocken seine Alligatoren zu füttern, von denen er einen „Caligula” nannte. Kauka verfasste in den 80er Jahren auch zwei Science-Fiction-Romane, darunter „Roter Samstag“, in dem er zum Unmut der Kritik den Dritten Weltkrieg durchspielte.
Mit der 1982 aus dem Kauka Verlag hervorgegangenen Promedia Inc. gründete Kauka eine Verwaltungsgesellschaft für seine Comics und widmete sich fortan der Umsetzung von Fix und Foxi in eine Zeichentrickserie, die erstmals im Februar 2000 im Fernsehen lief, zunächst im Ersten, später im KiKa. 1998 wurde Rolf Kauka für sein Werk mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt. Die Kauka Promedia Inc. leitete er bis Ende 1999 selbst und übergab dann die Geschäftsführung an Alexandra, in deren Armen er dann auf seiner Plantage starb. Sie versucht bis heute diverse Nach- und Neuauflagen vieler legendärer Kauka-Figuren zu initiieren: So hat die magnussoft deutschland GmbH ab 2007 mehrere Computerspiele mit Fix und Foxi auf den Markt gebracht.
Dennoch: „Der lange Todeskampf von Fix & Foxi ist ein Zeichen für einen Umbruch in der Lesekultur, der sich schon lange angekündigt hat. Das Heft um die beiden frühpubertären Füchse lief eigentlich nur in den Sechzigern und Siebziger wirklich gut … Zuletzt wurden 18.000 gedruckt und längst nicht komplett abgesetzt“, so Thomas Lindemann in der Welt. 2007 verlieh das Münchener Comicfestival Rolf Kauka postum den Comicpreis PENG! für sein Lebenswerk, Alexandra nahm den Preis entgegen. Die Gemeinde Grünwald, die lange Zeit Kaukas Wohn- und Verlagssitz war, eröffnete 2014 zu seinen Ehren die neue Kinderkrippe „Fix und Foxi“ auf dem Gelände des Grünwalder Freizeitparks. Im September 2017 erschien bei der Deutschen Post eine Sondermarke mit einem Fix-und-Foxi-Motiv. Die Straße zu seiner Farm in den USA heißt bis heute Kauka Lane.