Fundstück
2. April 2011 von Thomas Hartung
Der gleich zitierte Käufer von Kafkas 1915 als Buch erschienener Erzählung „Die Verwandlung“ gab dem Autor buchstäblich „Kredit„. Getreu dem lateinischen „credo“ glaubte er, mit dem Buch das Leben seiner Cousine zu bereichern. Was er indes mehrte, war lediglich der Vorrat an Ungewissheit bzw. Ratlosigkeit im Kreis der Familie, den er eigentlich mit Wortkunst mindern wollte.
Das wiederum dürfte symptomatisch sein für eine auch literarische Entwicklung, die spätestens im 20. Jahrhundert auf Innovation und damit gezielt auf Verstöße gegen ästhetische Traditionen und Konventionen zu setzen begann und diese Innovation bis heute provokativ und öffentlichkeitswirksam inszeniert. Vorprogrammiert auf Rezipientenseite waren damit Irritationen, etwa in Form von Klagen über die Kompliziertheit des Literarischen, ja das Unkünstlerische von De-Realisierung.
Hier also der Brief des Käufers, zitiert nach: Franz Kafka, Kritische Ausgabe. Schriften, Tagebücher, Briefe, Bd. 3: Briefe April 1914-1917, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt/M. 2005, S.744.
„Sehr geehrter Herr, Sie haben mich unglücklich gemacht. Ich habe Ihre Verwandlung gekauft und meiner Kusine geschenkt. Die weiß sich die Geschichte aber nicht zu erklären. Meine Kusine hat es ihrer Mutter gegeben. Die weiß auch keine Erklärung. Die Mutter hat das Buch meiner anderen Kusine gegeben und die hat auch keine Erklärung. Nun haben sie an mich geschrieben. Ich soll Ihnen die Geschichte erklären. Weil ich der Doctor der Familie wäre. Aber ich bin ratlos. Herr! Ich habe Monate hindurch im Schützengraben mich mit dem Russen herumgehauen und nicht mit der Wimper gezuckt. Wenn aber mein Renommee bei meinen Kusinen zum Teufel ginge, das ertrüg ich nicht. Nur Sie können mir helfen. Sie müssen es; denn Sie haben mir die Suppe eingebrockt. Also bitte sagen Sie mir, was meine Kusine sich bei der Verwandlung zu denken hat.
Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Dr. Siegfried Wolff.“
Siegfried Wolff wurde 1880 in Ilvesheim (Baden) geboren. Ab 1904 war er Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Zeitung“ (!), er promovierte 1912 in Tübingen und war später im Vorstand mehrerer Berliner Banken tätig. Im Frühjahr 1915 wurde er im Kriegseinsatz verwundet. Wolff starb 1952 in Haifa.
Dr. Hartung spricht – mit erkennbarem Vorwurf – von „Derealisierung“ – pardon: von „Derealisation“, ach: pardon: „DeRealisierung“ .. als einer literarischen Krankheit Kafkas und der Dichtung der Moderne.
Dr. Wolff an Franz Kafka: „(…) Also bitte sagen Sie mir, was meine Kusine sich bei der Verwandlung zu denken hat.“
„.. zu denken hat“ – diese Ausdrucksweise eines Kriegers, eines Bankmanagers … – ob man zu schreiben hat … – was ein so stur einbefohlenes Denken be-wirken sollte – von Kafka ist kein Mühen tradiert – Dr. Hartung ver-gisst mal so einfach das Datum des Briefes, den er doch für so wichtig hält, für so symptomatisch: „10.04.1917“ [verständlich geschrieben].
Nachzulesen in angemessener Wiedergbe des bürokratisch korrekten Schriftsatzes:
http://www.franzkafka.de/franzkafka/fundstueck_archiv/fundstueck/457437
Das Brieflein gab es schon vor dem „2. April 2011“ zu lesen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Juli 2006…. – Zitiert nach: Franz Kafka, Briefe 1914–1917, Kritische Ausgabe, Frankfurt am Main (S.Fischer) 2005.
Wo kritisiere ich Kafka??? Ich glaube, Sie haben weder meine Intention noch den Text auch nur ansatzweise verstanden. Es geht darum, dass ein Journalist (!!!) einen Autor fragen muss, was er mit seinem Text gemeint haben möge, und tatsächlich eine „Denkvorgabe“ (!!!) fordert. Alles andere ist irrelevant einschließlich des Datum, wann mir der Brief vor Augen kam.