Die Propagandamaschine läuft weiter
11. September 2015 von Thomas Hartung
Seit einigen Wochen kann man auf den Seiten der MoPo eine – überdies von der GAGFAH gesponserte, mit vielen Bildern untersetzte – Serie lesen, die die Mieter also mitfinanzieren und die meistens so angeteast wird: „Die Welt schaut in diesen Monaten auf unsere Stadt. Es heißt, hier herrsche Misstrauen gegenüber Fremden. Doch das stimmt nicht! Unsere Stadt ist weltoffen. Mit der Serie „Willkommen in Dresden“ treten wir hier jeden Mittwoch den Beweis an. Heute:…“ – und es folgt ein Kurzsatzporträt.
Als kürzlich das 25. Porträt erschien, fragte ich mich, was diese Serie eigentlich soll. Will die Zeitung beweisen, dass Dresden weltoffen ist, und wenn ja, wem? Will sie es ihren Lesern einreden, denen sie damit unterstellt, es nicht zu sein? Oder will sie abstrahierend Beispiele gelungener Integration vorstellen, um zu zeigen, dass alle anderen jetzt Dresden überflutenden Ankömmlinge aus ähnlichem Schrot und Korn sind resp. sein können, ach was, sein müssen?
Schauen wir zunächst, was zu erwarten wäre: „Der durchschnittliche Flüchtling kommt aus Syrien, ist jünger als 30 – und ein Mann“, so der Spiegel. Laut offizieller Rathausstatistik liegen in Dresden Kosovo, Syrien und Irak ganz vorn.
Bei der Altersstruktur hilft der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Danach ist über die Hälfte der Asylbewerber (53,8 %) unter 25 Jahre alt, während diese Altersgruppe in der deutschen Bevölkerung nur ein knappes Viertel (24,1 %) ausmacht. Die Altersstruktur der Asylsuchenden in Deutschland unterscheidet sich jedoch stark nach Herkunftsländern. So sind Asylsuchende aus Eritrea und Somalia ganz überwiegend (zu 79,0 % bzw. 70,1 %) im jungen Erwachsenenalter (18 bis 34 Jahre), Antragsteller aus Serbien und dem Kosovo dagegen zu höheren Anteilen (46,0 % bzw. 44,0 %) minderjährig. Ältere Personen finden sich unter den Asylbewerbern herkunftslandübergreifend kaum.
Bei Ausbildung und Qualifikation gilt der mdr-zitierte Satz „Vom Universitätsprofessor bis zum Analphabeten sei alles dabei“; gesicherte Statistiken dazu gibt es nicht. Aber wenn selbst A. Nahles zugibt, das der syrische Arzt nicht der Normalfall ist, ja das nicht einmal jeder Zehnte die Voraussetzungen mitbringe, um direkt in eine Arbeit oder Ausbildung vermittelt zu werden, dann werden die Befunde des aktuellen Bildungsberichts 2014 verständlich, wonach unter den 30- bis 35-jährigen Migranten fünf Mal so viele keinen allgemeinbildenden Schulabschluss und drei Mal so häufig keinen beruflichen Bildungsabschluss haben wie gleichaltrige Deutsche.
Ich begann also zu lesen und wurde von Text zu Text wütender. Hauptgrund neben der gefühlsduseligen, adjektivgeschwängerten, positivierenden Sprache: die Protagonisten (deswegen hatte ich vor ein paar Tagen schon mal den mdr attackiert). Ich fertigte, um meinen Emotionen eine rationale Grundlage zu geben, eine winzige Inhaltsanalyse, deren wichtigste Resultate sind:
- Insgesamt ist von 17 Ländern die Rede, darunter übrigens zweimal auch Deutschland-West: offenbar antizipierte das Blatt die unsägliche Entgleisung Göring-Eckardts von dieser Woche. Die Ukraine ist 3 mal vertreten, ebenso Iran, Spanien 2 mal. Immerhin: einmal auch Syrien, Kosovo und Irak dagegen fehlen.
- Porträtiert werden 15 Männer und 12 Frauen. 1 im Alter bis 25, 7 im Alter bis 35, 8 im Alter bis 45, 9 im Alter bis 55, 2 sind noch älter.
- Vom Status her finden wir 15 Migranten, 2 Asylbewerber (!), 6 Gastarbeiter/-studenten/-forscher auf Zeit sowie einen Wirtschaftsflüchtling.
- Wir haben es mit 11 Selbständigen, 13 Angestellten, einem Studenten sowie gerade mal 2 Arbeitssuchenden zu tun.
- Von den Protagonisten weisen eine 4 Berufsausbildung und 17 ein abgeschlossenes Studium auf; 4 befinden sich in Ausbildung/Studium, bei zweien ist der Status unklar.
- Bei den Branchen führt 11 mal Religion/Kunst/Kultur (hm…) vor 6 mal Gastronomie (hm…) – und 6 mal Wissenschaft/Forschung.
Fazit: diese Serie ist der leicht durchschaubare Versuch, anhand von Musterbiographien in der Regel gestandener Persönlichkeiten, die etwas geleistet haben/leisten, die Entwicklung der Gesellschaft voranbringen und dafür überwiegend auch ins deutsche Sozialsystem einzahlen und gegen die in ihrer überwältigenden Mehrzahl KEIN MENSCH auch nur irgendetwas hat geschweige protestiert (von irgendwelchen persönlichen Aversionen oder Branchenabneigungen vielleicht abgesehen – ich sage nur: wer nichts wird, wird Wirt), ein publizistisches Klima herbeizuschreiben, das um ALLE weiteren Ankommenden dieselbe verdienstvoll-bereichernde Atmosphäre konstruieren soll – unabhängig von Alter, Herkunft, Qualifikation etc. Differenzierung oder gar kritische Berichterstattung: Fehlanzeige. Stattdessen werden unkritisch konkrete Lebensumstände blumig beschrieben und mit positiv besetzen Worten in Szene gesetzt.
Um dieses Mosaiksteinchen der gegenwärtigen Propagandamaschine abzurunden, hier die Porträtierten zum Nachlesen.
27 – Mona Sedigh, 29 Jahre alte Iranerin, die seit vier Jahren an der TU ihre Promotion in Physik schreibt.
Gast
26 – Juliano Razafindramora, 37 Jahre alter Madagasse, der in Frankreich in Physik promovierte, seit 2011 bei Globalfoundries arbeitet und die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen will
Migrant
25 – Mercedes Moraiz, 50 Jahre alte Argentinierin, die seit 24 Jahren in Deutschland und 20 Dresden lebt, als Spanischlehrerin arbeitete und seit 2013 ein Neustadt-Cafe betreibt
Migrant
24 – Juan Ariel Luizaga Ruiz, 30 Jahre alter Bolivianer, der seit dem 14. Lebensjahr in Spanien lebte, dort Elektriker lernte und aufgrund der grassierenden Arbeitslosigkeit ohne seine Frau und seinen Sohn nach Dresden kam.
Gutwillig Migrant, eigentlich Wirtschaftsflüchtling
23 – Cristina Rosillo López, 37 Jahre alte Spanierin, die als Forschungsstipendiatin zeitweilig an der TU tätig ist, ebenso wie ihr Mann
Gast
22 – Miia Kajander, 34 Jahre alte Finnin (Sprachwissenschaftlerin), die seit 15 Jahren mit Mann in Dresden lebt, derzeit als Reisekauffrau arbeitet und u.a. so zitiert wird: „Ich weiß nicht, ob ich in Dresden bleibe, oder ob ich irgendwann nach Finnland zurückgehe.“ Und das scheint Miia aber nicht mehr so einfach. „Denn in Deutschland bin ich die Finnin. Und in Finnland bin ich die Deutsche…“
Offener Gast-/Migrantenstatus
21 – Leila Moghadam, 33 Jahre alte ledige Iranerin (Politikwissenschaftlerin), die vor 20 Monaten als Asylbewerberin kam, seitdem auf ihr Verfahren wartet, als Bäckerei-Aushilfe arbeitet und im September eine Konditorlehre beginnt
Offener Asylstatus, überqualifiziert auf heimischem Ausbildungsplatz
20 – nicht (mehr?) online
19 – Hussein Jinah, 57 Jahre alter alleinerziehender indischer Witwer (promovierter Elektroingenieur, diplomierter Sozialpädagoge) und Vorsitzender des Ausländerrates, der noch zu DDR-Zeiten nach Dresden zum Studium kam, keinen Job in Ost und West erhielt, nach Zweitstudium als Streetworker arbeitete und jetzt als freigestelltes Mitglied im Personalrat der Stadtverwaltung tätig ist.
Migrant
18 – Alina Urbanek, 48 Jahre alte Ukrainerin (Hütteningenieurin), die kurz nach der Wende der Liebe wegen nach Dresden kam, als Arbeitslose Friseuse lernte, seit 15 Jahren selbständig ist und sich mit Mann und zwei Kindern in der Neustadt engagiert.
Migrant; zuvor überqualifiziert auf heimischem Ausbildungsplatz
17 – Ali Habiballah, 47 alter lediger Palästinenser mit israelischem Pass (Wirtschaftsinformatiker), der 1990 zum Studium nach Dresden kam, seit 15 Jahren das „Cafe 100“ betreibt und Mitglied der Grünen ist.
Migrant
16 – Jason Beechey, 44 Jahre alter lediger Kanadier, der als Tänzer in Russland, USA, England und Belgien arbeitete und seit 2006 Rektor der Palucca-Schule ist.
Migrant/Gast (?)
15 – Andreas Sauerzapf, 41 Jahre alter Österreicher, der seit 2010 mit befristeten Verträgen an der Staatsoperette singt. Beitrag mit Restaurantwerbung
Gast
14 – Olga Kratka, 38 Jahre alte ledige, vielsprachige Ukrainerin, die Jura studierte, nach unklarer Biographie in Dresden landete, sich bei Schaustellerfamilie Müller-Milano verdingte und seit 2010 Geschäftsführerin des „Dresdner Weihnachts-Circus“ ist. Beitrag mit Zirkuswerbung
Migrant
13 – Igor Skalazki, 48 Jahre alter Moldawier, der als Sportlehrer international arbeitete, seit unklarem Zeitraum Kampfsportlehrer im Sportclub „K1-Dresden“ ist und mit moldawischer Frau und 2 Kindern in Meißen lebt
Migrant
12 – Lilia Babina, 52 Jahre alte Ukrainerin, die 1998 – 2004 an der Semperoper tanzte, seitdem eine eigene Ballettschule leitet und mit Mann in Dresden lebt
Migrant
11 – Babak Nayebi, 53 Jahre alter lediger Iraner, der (1986 in die BRD ausgereist) 1993 in Dresden Malerei zu studieren begann und seitdem als freischaffender Künstler lebt.
Migrant
10 – Gert Scharf, 57 Jahre alter Kölner (!!!), der seit 2011 der Dresdner Heilsarmee vorsteht
???
9 – Philip Townley, 22 Jahre alter Brite, der Musik studiert und 2017 nach seinem Abschluss wieder heim will
Gast
8 – Michael „Miguel“ Matthes, 55 Jahre alter Berliner (!!!), der Kaufmann lernte, Jahrzehnte in Spanien lebte, zur Finanzkrise zurück nach Deutschland kam und 2011 in Dresden die Wein- und Tapas-Bar „Barceloneta“ schuf.
???
7 – Lela Mtchedlishvili, 30 Jahre alte Georgierin (Restauratorin), die – ledig und schwanger – seit 2014 in Dresden bei einem Kunstprojekt mitmacht und Asyl beantragte „weil mir in Georgien Gewalt angetan wurde“, mehr will Lela darüber nicht sagen.
Offener Asylstatus
6 – Rao Fu (36) und seine Frau Yini Tao (36), Chinesen, die seit 2003 in Dresden Kunst studierten, 2008 heirateten und ein „Studio für chinesische Kultur“ leiten
Migranten
5 – Vanessa Bruno, 39 Jahre alte Spanierin, die in Spanien Romanistik und Literaturwissenschaften studierte, nun an der TU auch Romanistik und Literaturwissenschaften lehrt, mit ihrem mexikanischen Mann die Eismanufaktur „Pau Pau“ betreibt und mit ihren Kindern in der Neustadt wohnt. Beitrag mit Eiswerbung
Migranten (?); Gäste
4 – Maria Luisa Tapia de Kordt, 48 Jahre alte Nicaraguanerin, kam 1990 zum Studium nach Dresden, bleibt wegen die Liebe, betreibt seit 2003 den lateinamerikanischen Laden „El mercadito“ auf dem Bischofsweg, wohnt mit Mann und 2 Kindern in der Neustadt
Migrantin
3 – Sylwester Wydra, 37 Jahre alter Pole, der als Steyler Missionar seit 2014 Pfarrer in der katholischen Kirche St. Marien in Cotta ist.
Gast ???
2 – Aleh „Oleg“ Antonenka, 30 Jahre alter Weißrusse, der – als rückkehrender Garnissonssohn – „Wirtschaft“ studierte und als „Assistent der Geschäftsführung im Unternehmen „Sushi & Wein“ von Wolfgang Förster“ arbeitet. Der musste ein Bruttoeinkommen von 37.752 Euro pro Jahr nachweisen sowie, dass sich kein geeigneter Arbeitnehmer auf dem heimischen Arbeitsmarkt gefunden hatte und Oleg dank besonderer Qualifikation unentbehrlich für das Unternehmen ist. Kein Kommentar.
Migrant (???)
1 – Younes Bahram, 47 Jahre alter syrischer Kurde, der 1985 zum Studium nach Dresden kam, Radiologie an der TU studerite, danach Politikwissenschaften und Soziologie, später als medizinisch-technischer Assistent arbeitete, Dolmetscher und Journalist wurde und heute eine Basar betreibt sowie mit Familie in Stetzsch wohnt.
Migrant