„Steht auf und sterbt!“
25. November 2020 von Thomas Hartung
Seine Existenz zeichnete eine mehr als nur gewisse Zerrissenheit aus. Privat changierte sein Leben zwischen Bürgertum und Provokation: Er heiratete und wurde Vater zweier Kinder, nachts durchstreifte er hingegen die einschlägigen Homosexuellen-Bars in Tokio. Künstlerisch machte der weltweit anerkannte, dreimal für den Literaturnobelpreis vorgeschlagene Schriftsteller Seitensprünge, indem er auch Rollen in billig produzierten Trashfilmen spielte – teilweise nach eigenen Drehbüchern. Auch sein Verhältnis zum Westen, insbesondere zu den USA, blieb zeitlebens ein gespaltenes. Am deutlichsten drückte sein Haus diese Ambivalenz aus: Es bestand aus einem westlich und einem traditionell japanisch möblierten Trakt.
Darin gefiel er sich in vielen mondänen Posen; so als Gastgeber von – damals in Japan unüblicher – europäischer Eleganz, als wolle er das lateinische persona („Maske“) in Leben und Werk raffiniert variieren, ja Maske sein. Zu diesem Vexierspiel gehörte nicht nur die mondäne Attitüde, mit der er die Chefredakteure von Time oder New York Times wie ein Kulturminister empfing, sondern auch eine Art literarischer Spagat – er sah sich als Bewahrer und Erneuerer japanischer Tradition und band doch unendliche Einflüsse des europäischen Geisteslebens in seine Texte, die er mit eiserner Disziplin täglich fünf Stunden am Schreibtisch im westlichen Trakt erfand. Und darin trug er auch nachts Sonnenbrillen oder ließ sich in Marlon-Brando-Pose fotografieren.
Er sei nicht sicher, ob „Faschist“ die richtige Kategorie für seine „ekstatische Rückgewandtheit“ wäre, meinte Fritz J. Raddatz vor 20 Jahren in der Zeit und führte aus: „Faschismus, gar Nationalsozialismus hatten ja praktische Gegenangebote; beide lebten wesentlich von dem Ideologiegebräu aus Krieg und Rassismus. Beider Rhythmus war der Marschtritt der Masse – keineswegs das Todesfanal des heroischen Einzelnen. Sie hatten konkrete politische Führer und präzise sozioökonomische Gesellschaftsmodelle. Nichts davon bei Yukio Mishima – er ist ein todessüchtiger Träumer jenseits der Wirklichkeit; für eine bessere hat er keine Entwürfe, weil Wirklichkeit ihn überhaupt nicht interessiert.“ Und diese Todessucht ließ Mishima am 25. November 1970 traditionellen Seppuku begehen: publikumswirksam assistierten Suizid.
„Das werde ich“
Der am 14. Januar 1925 als Kimitake Hiraoka in Tokio geborene Sohn eines Ministerialbeamten litt unter der dominanten Großmutter, bei der er seine Kindheit und Schulzeit an einer Eliteschule verbrachte: Sie verbat dem schmächtigen, blassen und zurückhaltenden Jungen den Umgang mit gleichaltrigen Geschlechtsgenossen; er durfte nur mit Mädchen spielen. Männerkörper – vor allem Samuraikrieger und europäische Ritter, die er aus Bilderbüchern kannte – übten daher bereits im Kindesalter einen besonderen Reiz auf ihn aus. Als er mit 12 Jahren zurück in seine Familie kam, drillte ihn mit militärischer Disziplin nun sein Vater und verspottete seine Hingabe für Literatur als „weibisch“. Unter anderem soll er sein Zimmer regelmäßig auf Manuskripte kontrolliert haben, die der kränkliche Knabe zu schreiben begann – auch französischer, deutscher und englischer Sprache, die er sich autodidaktisch beigebracht hatte.
Europäische Literatur, insbesondere Raymond Radiguet, dessen Roman „Der Teufel im Leib“ (1923) vielfach verfilmt wurde, Oscar Wilde und Rainer Maria Rilke, prägte ihn besonders. Später wird er Thomas Mann als den Schriftsteller benennen, den er am meisten schätzt. Mit dreizehn Jahren schreib er seine erste Kurzgeschichte „Der Wald in voller Blüte“, in der ein Junge das Gefühl hat, dass seine Vorfahren in seinem Körper weiterleben, und dies für seine inneren Unruhen verantwortlich macht. Die renommierte Literaturzeitschrift Bungei-Bunka druckte sie. Erst spät sollte der Vater mit dem Satz „Wenn du schon Romancier werden willst, dann bitte der allererste Japans“ aufgeben; die Antwort des Sohnes „Das werde ich“, ist überliefert.
Um Mobbing durch seine Schulkameraden zu vermeiden, wurde die Geschichte unter dem Pseudonym Yukio Mishima publiziert, das er fortan für alle seine literarischen Werke verwendete. Er selbst wählte Mishima nach den „drei Inseln“, von denen man den schneebedeckten Fudschijama sehen kann, sein Japanischlehrer rät zu dem Vornamen Yukio, abgeleitete von Yuki = Schnee. In der Pubertät entwickelte er sadomasochistische Fantasien, in denen Schönheit, Begehren und Tod zu einem ästhetischen Ideal verschmolzen. Da er bei der Musterung eine Tuberkulose vortäuschte, musste er im Zweiten Weltkrieg keinen Militärdienst leisten. Der Tuberkulosetod seiner siebzehnjährigen jüngeren Schwester nahm ihn sehr mit.
Er ekelte sich vor körperlicher Schwäche und dem mit dem Alter unausweichlich verbundenen Verfall und begann, um dem Eindruck der Verletzlichkeit entgegenzuwirken, seinen von Natur aus eher zierlichen Körper als Material zu betrachten, aus dem es mithilfe von Bodybuilding und Schwertkampfübungen eine erotische Skulptur herauszumeißeln galt. Dank einer gnadenlosen Selbstdisziplin hatte er bald den muskelgestählten Körper, den er sich wünschte. So wurde er sein eigenes Ideal – der Held, den er als Kind so bewundert hatte. Er verließ die Universität Tokio 1947 mit einem Abschluss in Jura und arbeitete zunächst im Finanzministerium, kündigte aber innerhalb eines Jahres, um mehr Zeit zum Schreiben zu haben.
„Sehnsucht und Sucht zugleich“
1949 gelingt ihm mit „Geständnis einer Maske“ sein erster Erfolg. Das streckenweise autobiographische Werk ist das Porträt eines sensiblen, von Selbstzweifeln bedrängten Jungen an der Schwelle zum Erwachsensein: „Mein Selbstbetrug war der einzige zuverlässige Halt in meinem Leben“, erklärt der Ich-Erzähler, der die „Leser zu Zeugen einer Selbstzerfleischung“ macht, befindet Jonas Lages im Tagesspiegel. Bereits hier treten zahlreiche Themen auf, die sich wie rote Fäden durch Mishimas Werk ziehen: die Todessehnsucht, die erotische Zuneigung zu Knaben, die auffallende Betonung von Brust- und vor allem Achselhaar an männlichen Körpern – eine „Tonfolge Schönheit-Liebe-Tod“ erkennt Raddatz: „Das Buch ist eine schwarze Messe, Zeremonie von Lust aus Qual und Quälen, ein Gesang in der Tradition Walt Whitmans von der Schönheit zum Tode hin, Sehnsucht und Sucht zugleich. Was dann Basso continuo seines gesamten Werks werden sollte; seines Lebens, dessen schwarze Räusche und blutrünstige Fantasien er gleichsam aufschrieb in Romanen, Gedichten, No-Spielen: Das ist, einem Notenschlüssel gleich, alles bereits in dem furiosen Erstling angelegt.“
Ein hier eingeführtes, wiederkehrendes Motiv ist die Figur des Heiligen Sebastian, des römischen Soldaten, der zum christlichen Märtyrer wurde. 1966 ließ sich Mishima für eine Übersetzung von Gabriele d’Annunzios Bühnenwerk „Märtyrertum des heiligen Sebastian“ in der Pose fotografieren, die Guido Reni für sein Sebastian-Gemälde ausgewählt hatte: mit nacktem, von mehreren Pfeilen durchbohrtem Oberkörper – wobei ein Pfeil markant aus seiner linken, schwarz behaarten Achselhöhle herausragt. Rasch avancierte er zu einem auch international erfolgreichen und gefeierten Schriftsteller, der auf dem quantitativen Höhepunkt seines Schaffens bis zu drei Romane und ein Dutzend Kurzgeschichten im Jahr schrieb.
Aus der breiten Masse der in den 50er Jahren entstandenen Werke stechen „Die Brandung“ (1954), eine zeitgenössische japanische Interpretation der antiken Liebesgeschichte um Daphnis und Chloe, und „Der goldene Pavillon“ (1956) hervor. Hierin erzählt Mishima von dem authentischen Fall des Priesteranwärters Mizoguchi, der im Nachkriegsjapan einen der schönsten buddhistischen Tempel, der den Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hat, anzündet: „Die außergewöhnliche Klarheit des Frühlingshimmels erschien mir manchmal wie der Glanz der kühlen Klinge einer Axt, groß genug für die ganze Erde. Ich wartete nur, dass sie herniedersausen würde“, heißt es in dem Ideenroman.
Wenngleich er sich nicht im Psychogramm eines Brandstifters erschöpft, den der Schriftsteller eigens im Gefängnis besuchte, sind die menschlichen Schwächen des Helden nicht ohne Bedeutung: Mizoguchi stottert und findet sich hässlich. Er erfährt Ablehnung bei seinen Kameraden. Er ist in ein Mädchen verliebt, Uiko, die ihn verschmäht und vor seinen Augen von ihrem Liebhaber erschossen wird. Schließlich findet Mizoguchi zwei Freunde: den freundlichen, wohlwollenden Tsurukawa und den zynischen Kashiwagi, einen ebenfalls gehandicapten Mitschüler, von dem er mit düsteren Obsessionen manipuliert wird.
Es sind dies, wenn man so will, die Zutaten eines klassischen Bildungsromans, allerdings vor einem radikal-pessimistischen Hintergrund. Frauen beispielsweise treten hier vornehmlich in Gestalt von Prostituierten auf. Der Abt des Tempels, Roshi, vergnügt sich gern mit ihnen, was ihm die Verachtung des Erzählers einträgt. „In den Irrungen des Zöglings kondensieren Verblendung, politischer Wahn, Suche nach dem Absoluten, Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitsgefühle“, erkennt Dirk Fuhrig im DLF Kultur. Das Buch zeige, wie sich ein junger Mensch in eine fixe Idee verrennt und aus seiner einsamen Welt nicht mehr herauskommt.
„der Himmel voll mit schönen, jungen Menschen“
Durch seine steigende Popularität war Mishima häufig auf Reisen und lernte fremde Kulturen kennen, die er in seine Arbeit einfließen ließ. So wohnte er 1952 einige Zeit in Griechenland und 1957 in den USA. Verbittert und unvermittelt brach er seinen Aufenthalt am Silvestertag ab: Ihn hätten Selbstsucht und die Fixierung auf Materielles angeödet, wie sein englischer Übersetzer Donald Keene mit Blick auf das nicht ins Deutsche übersetzte „Reisebilderbuch“ Mishimas feststellt. Nach kurzer Verlobung mit der Anglistin Michiko Shōda, die danach Kaiser Akihito heiraten sollte, nahm Mishima 1958 Yoko Sugiyama zur Frau, mit der er zwei Kinder hatte. Die Unklarheit über Mishimas sexuelle Orientierung war ein laufender Konflikt zwischen ihm und seiner Ehefrau, die bis nach seinem Tod verneinte, dass Mishima jemals Interesse am eigenen Geschlecht gehabt habe. Im Jahre 1998 veröffentlichte der japanische Autor Jiro Fukushima einen Brief, in dem er eine sexuelle Affäre mit Mishima beschreibt. Dessen Kinder verklagten Fukushima daraufhin erfolgreich auf Unterlassung.
Literarisch näherte sich Mishima erstmals 1960 politischen Themen an. Der Roman „Nach dem Bankett“ erzählt von den Verstrickungen eines Diplomaten in politische Machtstrukturen, zweifelhafte Geldgeschäfte und private Liebschaften. Die Geschichte beruht auf einem authentischen Fall – die Romanfigur ist an einen ehemaligen liberalen Außenminister Japans angelehnt. In der im selben Jahr erschienenen, wiederum auf realen Ereignissen basierenden Kurzgeschichte „Patriotismus“ erkannte Daniel Napiorkowski vor zehn Jahren in der Sezession „eine deutliche Verbeugung vor dem Ethos des japanischen Soldatentums“. Beschrieben wird der letzte Abend eines jungen, frisch verheirateten Leutnants, der gemeinsam mit seiner Frau den Freitod wählt, um nicht gegen seine Kameraden – aufständische Offiziere – vorgehen zu müssen. In der fünf Jahre später unter seiner Regie entstandenen Verfilmung spielte Mishima die Rolle des jungen Offiziers selbst. Inwieweit er hier sein Schicksal vorwegnahm, ist umstritten.
In einem Artikel von 1962 schrieb er: „In der Bronzezeit betrug die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen achtzehn Jahre; zur Römerzeit waren es zweiundzwanzig. Damals muss der Himmel voll gewesen sein mit schönen, jungen Menschen. In letzter Zeit muss es dort oben erbärmlich aussehen.“ 1968, als nicht er, sondern Yasunari Kawabata den Literaturnobelpreis erhielt, gründete er eine paramilitärische Vereinigung, die sogenannte „Schildgesellschaft“ (Tatenokai), die sich ausschließlich aus jungen Studenten rekrutierte und die für die Rückkehr der klassischen Kaiserherrschaft eintrat. Es war sein Versuch, eine an ästhetischen Idealen und traditionellen japanischen Vorstellungen orientierte Elite aufzubauen. Mishima machte die jungen Männer mit den Tugenden des bushido vertraut, dem Verhaltenskodex der Samurai, unterrichtete sie in Karate sowie in Schwertkampf, ließ eigene Uniformen schneidern, ein Wappen entwerfen und kreierte sogar eine eigene Hymne.
Aufgrund der strengen Aufnahmevoraussetzungen hatte die Schildgesellschaft niemals mehr als hundert Mitglieder, was Mishima nur recht war; er sprach von der „kleinsten Armee der Welt und der größten an Geist“. Die japanischen Medien beachteten Mishimas private Miliz kaum, und wenn, dann nahmen sie sie als den Spleen eines exzentrischen Schriftstellers wahr, der eine „Spielzeugarmee“ unterhielt. 1969 nahm Mishima die Einladung radikaler linker Studenten zu einer Podiumsdiskussion an der Universität von Tokio an, deren verschollener Mitschnitt im April 2020 wieder auftauchte. Es entwickelte sich ein teilweise recht aggressives Streitgespräch, während dem Mishima seine politischen Standpunkte, insbesondere seine Verehrung des Kaisers bekräftigte, aber auch Berührungspunkte zu den linken Studenten betonte. Er schloss seine Rede mit dem Versprechen: „Eines Tages werde ich aufstehen gegen das System, so wie ihr Studenten aufgestanden seid – aber anders.“
„Lang lebe der Kaiser!“
Was er darunter verstand, wurde dann am 25. November 1970 sichtbar. Gemeinsam mit vier Mitgliedern seiner Privatarmee verschaffte er sich Zugang zum Hauptquartier der Streitkräfte Ost in Tokio, nahm den kommandierenden Offizier, General Kanetoshi Mashita fest und machte zur Bedingungen seiner Freilassung, auf dem Balkon vor dessen Büro eine Rede zu halten. Es sei ihre Aufgabe, appellierte er an Hunderte im Hof der Kaserne versammelte Soldaten und Zivilangestellte, das durch die Herrschaft des Tenno repräsentierte traditionelle Japan vor dem Zugriff des Westens zu schützen, und rief die Armee zur Besetzung des Parlaments und zur Wiedereinsetzung des Kaisers auf. Zu verstehen war von seinen Worten am Ende kaum etwas: Zu laut waren die herbeigeeilten Helikopter. „Steht auf und sterbt!“ war allerdings deutlich vernehmbar. Mit der dreimal ausgestoßenen Formel „Lang lebe der Kaiser!“ beendete der Schriftsteller seinen Aufruf.
Was wie ein heroischer Akt des Patriotismus wirken sollte, endete als Farce. „Sie haben mir nicht einmal zugehört“, sagte er anschließend seinen im Büro des gefesselten Mashita wartenden Gefolgsleuten. Beirren ließen sich die Verschwörer davon nicht, im Gegenteil. Nun begann der finale und ausgesprochen blutige Teil des von langer Hand geplanten Spektakels: die rituelle Selbsttötung Mishimas, auch Seppuku genannt. Er schlitzte sich mit einem Dolch den Bauch auf und ließ sich von seinem Gefährten Masakatsu Morita mit dem Schwert den Kopf abschlagen. Unmittelbar nach der blutigen Tat folgte Morita dem geliebten Meister auf dieselbe, ausgesprochen schmerzhafte Weise in den Tod. „Zeitlebens hat er in der Niederlage Japans und im erzwungenen Verzicht auf eine offensiv ausgerichtete Streitmacht eine tiefe Demütigung gesehen. Auch sein 1970 vollzogener ritueller und grausamer Suizid lässt sich als symbolischer Protest gegen die Unterwerfung seines Volkes lesen“, bringt Martin Krumbholz im WDR das verbreitetste Deutungsmuster auf den Punkt.
1968 hatte Mishima in einem Interview geäußert, dass, anders als das westliche Bild des Selbstmords, der meist als Niederlage betrachtet werde, „Harakiri einen manchmal siegen lässt“. In seinem Abschiedsbrief an Keene schrieb er: „Es war schon seit langem mein Wunsch, nicht als Literat, sondern als Soldat zu sterben“. Laut der Biografie von Henry Scott Stokes hatte Mishima seinen Suizid bereits seit einigen Jahren geplant und seinen Todestag ein Jahr im Voraus festgelegt. Sein Glaube an eine Erfolgsaussicht bezüglich der Restauration des Kaiserreiches erscheint daher fraglich. Literarisch war er auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Mit „Die Todesmale des Engels“ – das Manuskript hierzu korrigierte er noch am Vorabend seines Todes und adressierte es an seinen Verleger – beendete er sein monumentales, vierbändiges Epos „Das Meer der Fruchtbarkeit“, an dem er die letzten sechs Jahre gearbeitet hatte – Namensgeber ist eine Geröllwüste auf dem Mond. Insgesamt schuf er mehr als 50 Stücke und 30 Romane.
Er entfremdete sich zunehmend von einer Gesellschaft, die für Begriffe wie Ehre und Tradition immer weniger empfänglich war, meint Napiorkowski: „Alles Kommende hätte dem Gesamtkunstwerk Yukio Mishima an Glorie genommen. Das Todesfanal aber vollendete es auf eine morbide Weise.“ Das Bild mit Mishimas abgetrenntem Kopf ging um die Welt. Sein Verhältnis zu anderen politisch rechtsstehenden Organisationen blieb von Desinteresse geprägt. Erst posthum entdeckten einige Gruppierungen aus dem Umfeld der japanischen „Neuen Rechten“ die politische Strahlkraft Mishimas, allen voran die nationalistische Issuikai, die seit 1972 ein Heldengedenken mit anschließendem Besuch an Mishimas Grab veranstaltet. Sein Leben sowie seine Hauptwerke wurden nicht nur verfilmt, sondern auch musikalisiert, so in „Das verratene Meer“ durch Hans Werner Henze.
Wie es um seine Rezeption – und den Zeitgeist – steht, machten 2019/20 Leserdiskussionen deutlich, die sich unter Rezensionen deutscher Neuübersetzungen seiner Hauptwerke „Geständnis einer Maske“ und „Der goldene Pavillon“ entsponnen. Die Neuauflage spräche für einen Zeitgeist, „in dem rechtsnationales Gedankengut wieder popularisiert wird“, hieß es etwa im Tagesspiegel. „Es bleibt zu hoffen, dass uns eine Wiederauflage der Blut-und-Boden-Schundliteratur mit ihren lächerlichen Heroisierungen des ‚männlichen Kriegers‘ und des sogenannten Heldentods fürs Vaterland erspart bleibt“, kommentiert ein weiterer. Und ein dritter befindet: „Obwohl Faschist, ist er sicherlich keine Identifikationsfigur für simpel gestrickte hiesige rechtsradikale Dumpfbacken, dazu dürfte seine Welt denen zu fern sein. Ich staune nur, mit welcher Unbedarftheit das hiesige unverdächtige literarische Establishment (Kritik, Verlagswesen) diesem Autor gegenübertritt.“ Das lässt tief blicken und ist ein Armutszeugnis sowohl für das Niveau kulturellen Welt- und Selbstverständnisses hierzulande als auch für den Zustand linkspolitischer Arroganz, die sich in alleinigem Wahrheitsbesitz wähnt.