Wenn Streichers Ungeist waltet
8. Dezember 2021 von Thomas Hartung
Ungeimpfte sind Aussätzige, Asoziale, gar neue Nazis, skandalisiert der Medienmainstream. Das ist politisch, medizinisch und sozial verheerend, ja präfaschistoid. 2021 als neues 1932?
Meine neue Tumult-Kolumne, die ich aufgrund des Redaktionsschlusses 1.12. fortschreiben musste – die Endfassung (im Original 14 Seiten) folgt unter dem Kolumnenbild.
„In Krisenzeiten suchen Intelligente nach Lösungen und Idioten nach Schuldigen“ ist ein Loriot zugeschriebenes Bonmot, das allerdings vom italienischen Schauspieler Totò („Große Vögel, kleine Vögel“) stammt. Interpretiert man mit dieser Semantik die aktuelle Impfpflicht-Hysterie, müssen als Idioten die deutschen Journalisten gelten – haben sie sich doch bis auf marginale Ausnahmen auf die Ungeimpften als Wurzel allen Coronaübels eingeschossen. Das Perfide an der „publizistischen Idiotie“: Weite Teile der Medien sind als Propaganda-Organe zum konstitutiven Element einer Machttechnik mutiert, die auf die Ausgrenzung Freier, Gesunder zielt – ohne dass die Bevölkerung aufmuckt. Damit aber gelten die Idioten als intellektuelle Taktgeber des Diskurses. Eine Katastrophe.
„Die Impfskeptiker werden schon jetzt zu den idealen Sündenböcken auserkoren“, erschreckt David Bendels in der Jungen Freiheit JF, „um Zwietracht zwischen den Menschen zu säen und mittels des alten Leitspruchs ‚Divide et impera‘ die Entdemokratisierung des Westens voranzutreiben – und gleichzeitig Bürger, die auch jenseits der Pandemie bereit sein könnten, nein zu sagen, dem Hass der Mitmenschen auszuliefern.“
Wohin dieser Hass führen kann, zeigte Ende November der Text „Die Gesellschaft muss sich spalten!“ von Christian Vooren auf ZEIT online. Ein Journalist von Anfang 30, der außer seinen Redaktionsblasen nichts sonst kennt, behauptet darin in Richtung Ungeimpfte: „Mit maximaler Durchlässigkeit an der Blödsinnsflanke ist niemandem geholfen“. Und maßt sich an zu behaupten: „Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet“ und „den gefährlichen vom gefährdeten Teil der Gesellschaft“ trennt, damit „Ruhe ist vor diesem Geschrei“. Das ist kein Witz.
Der Text ist „so unwissenschaftlich, menschenverachtend und totalitär, dass einem die Worte fehlen. Die biologistische Ausgrenzung aus dem ‚gesunden Volkskörper‘ liegt erst 75 Jahre zurück! Julius Streicher hätte seine helle Freude an solchen Redakteuren!“, entsetzt sich der medienpolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württembergs, Dr. Rainer Podeswa MdL, zugleich SWR-Rundfunkrat.
Er verweist auf die Resolution 2361 des Europarates, in der die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert werden, sicherzustellen, dass Impfungen nicht verpflichtend sind und niemand politisch, sozial oder anders unter Druck gesetzt werden darf, sich impfen zu lassen (Punkt 7.3.1). Und die müssten die Medien thematisieren, anstatt den Chaos- und Panikmodus der Regierungen zu reproduzieren.
Wer jetzt meint, das sei der Gipfel der Bürgerbeschimpfung, musste sich in den Tagesthemen eines Besseren belehren lassen. Die MDR-Journalistin Sarah Frühauf durfte da kommentieren: „Die Impfverweigerer tragen Verantwortung dafür, dass die Gesellschaft wieder unter Druck gerät… Gastronomen und Ladenbesitzer um ihre Existenz bangen. Und sie müssen sich fragen, welche Mitschuld sie haben an den wohl tausenden Opfern dieser Coronawelle.“ Moment: Das Drittel Ungeimpfte hat Schuld, dass die Arznei bei zwei Dritteln Geimpfter nicht wirkt wie erhofft?
„Herzlichen Dank – an alle Ungeimpften“, fantasiert sie weiter. „Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown – vielerorts wieder ohne Weihnachtsmärkte, vielleicht wieder ohne die Weihnachtsfeiertage im Familienkreis.“ Auch das ist kein Witz.
Leider ebenfalls nicht, dass die Dame an der Uni Leipzig studierte – zu DDR-Zeiten das „Rote Kloster“ für die Journalistenausbildung. Die Tagesthemen als neue Aktuelle Kamera? Eine „Tyrannei der schrägen Argumente“ konstatiert Ben Krischke im Cicero – lohnt schon die Untersuchung einer Lingua Corona Imperii? So viele Déjà-vus auf einmal kann man als linkssozialisierter Ostdeutscher gar nicht haben.
„Ausdruck von Hilflosigkeit“
Inzwischen läuft eine Anzeigenwelle gegen Frühauf wegen Volksverhetzung, die auch AfD-Vize Beatrix von Storch unterstützt; verschiedentlich wurde Frühaufs Entlassung gefordert. Für den Historiker Malte Thießen ist Corona „die erste Pandemie [..], in der wir Sicherheit über Freiheit stellen.“ Wird man diesen Geist nach einem möglichen Ende der Pandemie je wieder in die Flasche zurückbekommen?
Freiheit ist das zentrale Motiv unseres Grundgesetzes. Das Wort Sicherheit kommt darin nicht einmal vor, wohl aber die Abwehr von Seuchengefahr; allerdings an zwei anderen, jedoch ganz konkreten Stellen: der Unverletzlichkeit der Wohnung und der Freizügigkeit.
Diese Balance wird von den Regierungen gerade grundlos zerstört, denn inzwischen kommt kein Politiker mehr umhin zuzugeben, dass die Impfung weder vor Infektion noch sicher vor schwerer Erkrankung oder gar dem Tod schützt – und auch nicht davor, andere anzustecken. Dieses Jahr ist die Inzidenz trotz Zweidrittel-Impfquote höher als letztes Jahr ohne Impfung.
Im Sommer 2021 lag die gemessene Rate der Impfdurchbrüche allein bei über 60-jährigen Covid-Patienten bei 40 Prozent; 80 % aller coronageimpften Polizeibeamten Sachsens sind inzwischen erkrankt. Geradezu hanebüchen ist die Behauptung, ungeimpfte Virenträger seien ansteckender als geimpfte. Nach dieser Logik wäre eine Frau im siebten Monat auch schwangerer als eine im vierten.
Und selbst, wenn es nur noch Geimpfte gäbe, wäre es noch nicht vorbei: Dazu muss man nur nach Gibraltar schauen, wo statistisch gesehen 100% der Bevölkerung geimpft sind, aber die Inzidenz über 1000 liegt. Das Narrativ von der „Pandemie der Ungeimpften“ ist selbst für Merkels Chefvirologen Drosten nicht haltbar.
Überdies ist ein Infizierter noch kein Kranker und ein Kranker noch kein Beatmungspatient auf der Intensivstation ITS. Stand 19. November waren deutschlandweit 19.723 ITS-Betten belegt. Zum selben Zeitpunkt 2020 waren es 21.934.
Das heißt, es liegen derzeit 2.211 Menschen weniger auf Intensiv als letztes Jahr zur gleichen Zeit. Wenn man aber auf die Zahl der freien Intensivbetten schaut: 6.273 im vergangenen Jahr gegen 2.455 derzeit. Aber irgendeinen Sinn wird der Intensivbettenabbau schon haben, auch wenn der sich nur den Abbauenden erschließt.
Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, in der 83 Millionen Menschen leben, bricht vorgeblich zusammen, wenn 4.700 Menschen mit Corona auf der ITS liegen – weniger als vor einem Jahr. Übrigens sind 50 % der Corona-Intensiv-Patienten Migranten, von denen bis zu 40 % kein Deutsch sprechen.
Während an den Pocken ungefähr jeder dritte nichtbehandelte Infizierte starb, hatten sich bis 19. November hierzulande 5.248.291 Personen mit dem SARS-CoV-2-Erreger infiziert, von denen 98.739 starben – das sind gerade 1,88 Prozent der registrierten Infizierten. In keinem Bundesland liegt die Rate der aktuell Infizierten über 1 %. Der Anteil der doppelt Geimpften an der Gesamtzahl der symptomatischen Covid-Fälle aber lag in der letzten Novemberwoche bei 48,2 Prozent, bei den über 60-Jährigen sogar bei 71,4 Prozent – und da soll die Impfung das Allheilmittel sein?
Zumal die vielzitierte Divi, die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, eingeräumt hat, sie wisse gar nicht, wie viele Covid-Intensivpatienten tatsächlich ungeimpft sind, und aus Bayern und Hamburg inzwischen bekannt ist, dass alle Patienten mit unbekanntem Impfstatus statistisch den Ungeimpften zugeschlagen wurden. Statt über Bayerns fragwürdige Corona-Statistiken aufzuklären, stigmatisieren Politiker von CSU bis Grüne kritische Fragesteller als „rechtspopulistisch“, ärgert sich Tim Röhn in der Welt.
Dieses schäbige Manöver sei längst zum Muster dieser Pandemie geworden: „Man macht sich zum Sprachrohr der AfD, wenn man auf das Recht auf korrekte Zahlen pocht? Man muss bei derartigen Anliegen sicherstellen, keinen Applaus von den Falschen zu bekommen? Kritik an Lockdown-Maßnahmen üben? Vorsicht, hat schon die AfD gemacht. Verärgerung über Grundrechtsverluste? Oh oh, ganz heißes Pflaster. Zu viel Panik, zu viel Alarmismus sehen? Machen schon die ‚Querdenker‘, lieber nicht laut sagen. Masken weglassen, wie in Schweden? Du Corona-Leugner!!“ Es sei aber nicht „rechtspopulistisch“, auf Fakten zu pochen, so Röhns Fazit.
Für den Kinderarzt Steffen Rabe haben die Covid-Impfstoffe „überhaupt keinen relevanten Fremdschutz.“ Damit sei „jedwedes Argument für eine lmpfverpflichtung vom Tisch“, sagte er dem MDR. Er kenne kein Medikament und keinen Impfstoff der letzten 30 Jahre, „bei dem wir so eine schwere Erkrankung wie eine Herzmuskelentzündung mit einem zahlenmäßig so dramatisch hohen Risiko verbinden.“
Diese Impfpflicht sei „weder juristisch noch moralisch noch medizinisch in irgendeiner Art und Weise intelligent, sondern sie ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Kopflosigkeit.“ Der französische Publizist Emilie Chartier warnte schon im 19. Jahrhundert: „Nichts ist gefährlicher als eine Idee, wenn sie unsere einzige ist“ – zumal es gegen Delta und Omikron noch keinen Wirkstoff gibt.
„groteske Aufwertung von Dummheit“
„Die Frustrierten kanalisieren ihre Wut nun mit Lust auf die Sündenböcke, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie von der Regierung betrogen wurden“, befindet Michael Klonowsky. Eher unfreiwillig bewies das Anfang Dezember der Tübinger Theaterchef Thorsten Weckherlin, der Ausnahmen für Booster-Geimpfte bei 2G plus forderte – die grünschwarze Landesregierung hatte die Bundesregelung nochmal verschärft. Er wies die Testpflicht nicht nur als „Drangsalieren der bereits geimpften Leute“ zurück – sondern argumentierte prompt, 2G plus sei eine „Genugtuung für die Impfgegner“.
Der Virologe Alexander Kekulé von der Uni Halle brachte die Causa in der WELT auf den Punkt: „Geimpfte glauben, sie seien sicher. Man hat sie falsch informiert.“ Wer aber ist „man“? Richtig, die Politik und in deren publizistischer Transmission die Medien, die den ungeimpften Skeptikern bis Verweigerern Schuld an allem geben, was man eigentlich der Regierung anlasten muss: „Sie werden sowohl für die Eindämmungsmaßnahmen wie für die Pandemie insgesamt verantwortlich gemacht“, erregt sich Rene Schlott im Cicero. Sie seien asozial, unsolidarisch und egoistisch, man soll den Kontakt zu ihnen meiden, ihnen die Ausreise verbieten, ihnen Lohn kürzen oder gleich den Job kündigen.
Im Zweifel sollten sie auch gar per Polizei dem Impfarzt vorgeführt werden können, wie beim Redaktionsnetzwerk Deutschland RND zu lesen war – und das in einer Tonalität, Lexik und vor allem Rabulistik, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Beispiele gefällig: „Eine pathetische Rhetorik der Freiheit ist fehl am Platz, wenn es um die alles erfassende Epidemie geht“, meint Boris Pofalla in der Welt. Denn: „Es war nicht von Anfang an offensichtlich, dass die Impfung eine simple und eher unspektakuläre Pflicht ist, wie das Befreien des Gehwegs vor dem eigenen Haus bei Eis und Schnee. Dabei kann man sich, wenn man Pech hat, die Knochen brechen – aber man muss es tun.“ Das ist kein Witz. „Satt“ hat es auch Kati Degenhardt auf t-online: „Warum fühlen wir noch immer mit den Ungeimpften, warum nehmen wir Rücksicht auf die Rücksichtslosen?“ Das ist klassische Projektion.
„Das radikale und öffentlichkeitswirksame Mittel der Impfgegnerschaft ist Ausdruck einer politischen Oppositionshaltung, die in keinem oder nur sehr geringem Verhältnis zu gesundheitlichen Bedenken steht“, befindet Mely Kiyak in der Zeit. Das sieht Ingo Way im Cicero reziprok. Eine einmal in Gesetzesform gegossene Pflicht, die auch regelmäßige Auffrischimpfungen einschließt, könnte auf Jahre hinweg das Geschehen prägen: „Denn welcher Politiker würde es wagen, die Abschaffung eines solchen Gesetzes zu fordern, wenn sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen ließe (Präventionsparadox), ob danach nicht wieder eine neue Epidemie droht“. Und er folgert: „Die mehrfach Geimpften, die irgendwann keinen weiteren Booster mehr wollen, sind die Impfverweigerer von morgen.“
Thomas Haselier verstieg sich unter der Schlagzeile „Tyrannei der Ungeimpften“ in der NWZ gar zu der Aussage, mit einer Impfpflicht endlich „Impfunwillige strafrechtlich verfolgen zu können“. Das brachte den coronakritischen Epidemiologen Friedrich Pürner, der von der Söder-Regierung als Amtsarzt im Kreis Aichach-Friedberg strafversetzt wurde, auf die Palme: „‚Tyrannei‘ ist etwas Illegitimes, Gewaltvolles, Willkürliches. Jeder hat aber das Recht über seinen Körper selbst zu bestimmen, ohne aus der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden, als Asozialer, Extremist, Spinner oder Querulant zu gelten“, sagte er der Jungen Freiheit JF. Es geht nicht mehr, wird immer klarer, um die individuelle Gesundheit, sondern das Funktionieren eines kaputtgesparten Intensiv- und Pflegesystems. Das zeugt von einer mit Planlosigkeit gepaarten Übergriffigkeit zur Bemäntelung eigenen Totalversagens, die ihresgleichen sucht: Die Menschen sollen dem System dienen statt umgekehrt das System den Menschen. Das ist absurd, das ist beängstigend.
Staat und Regierung sind nicht die Hüter körperlicher Unversehrtheit, der Körper ist kein Volkseigentum. Offenbar vergessen manche, dass Infektion und Krankheit zum allgemeinen Lebensrisiko gehören: „Was ist dann mit Geimpften, die andere anstecken? Nach dieser Logik wären auch sie schuldig, da sie wieder ihre Freiheiten in Anspruch genommen haben, statt sich zu Hause zu isolieren“, so Pürner. Als auch Weltärztepräsident Montgomery die Tyrannei-Metapher beanspruchte, nannte ihn FDP-Vize Wolfgang Kubicki den „Saddam Hussein der Ärzteschaft“; ruderte später aber zurück.
„ich versuche, mich zu weigern“
„Die Regierung hat sich in eine Sackgasse manövriert, als sie die Impfpflicht ausschloss“, behauptet Sophie Garbe im Spiegel und benennt als Ursache eine „falsche Definition des Begriffs Freiheit“. Wenn Kubicki fordert, Ungeimpfte nicht schlechter zu stellen, die Rechte von Minderheiten zu schützen und sie nicht „zum besseren Menschen erziehen“ zu wollen, sei das „schön. Aber auch ganz schön naiv.“ Denn in einer Situation, in der eine persönliche Entscheidung das Leben vieler weiterer Menschen beeinflussen kann, sei „es fatal, wenn die Politik Freiheitsideale hochhält, die das Recht auf Unversehrtheit vieler Bürger gefährdet.“
Die Freiheit des einen hört dort auf, wo sie die anderer beschneidet, folgert sie messerscharf und moniert ein „egoistisches Freiheitsverständnis“: „Das Recht des Trotzigen, in einer Burg aus Widerwillen und Desinformation zu verharren, wiegt darin mehr als das Recht der Kooperativen, zu einem freien und sichereren Leben zurückzukehren.“ Das ist auch kein Witz.
„Seit Pegida gibt es im politischen Raum eine groteske Aufwertung von Dummheit. Die berühmten Sorgen der echten Deutschen, die mal im Gewand von Ausländerekel oder Impfhass daherkommen, werden seitdem unentwegt höher bewertet als Forschung und Wissenschaft“, höhnt Kiyak. Ebenfalls im Spiegel dekretiert Christian Stöcker: „Vergesst den ‚Zusammenhalt“. Und die Süddeutsche nannte das Recht, selbst über eine Impfung zu entscheiden, „kindisch“ und rief den „November des Zorns“ aus.
Bendels konstatiert „niederste Instinkte“, wenn „gegenwärtig zum ersten Mal seit dem Ende des Totalitarismus erneut eine fest umrissene Bevölkerungsgruppe gezielt zum Objekt von Hass und Abscheu aufgebaut wird und ihre Unterdrückung von Politik, Medien, Wirtschaft, ja selbst Kirche nicht nur toleriert, sondern geradezu zur staatsbürgerlichen Pflicht stilisiert wird… – und es steht zu befürchten, dass die gegenwärtigen Maßnahmen nur der Beginn einer gefährlichen Spirale sein werden, an deren Ende einmal mehr die moralische Bankrotterklärung jener viel gepriesenen ‚europäischen Werte‘ stehen wird.“
Doch schon Bertrand Russell wusste: „Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle unrecht haben“: Bis zu Kopernikus‘ De revolutionibus orbium coelestium (1543) galt auch, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Way bringt die Argumente knappstmöglich auf den Punkt: „Es gibt keine Pflicht zur Selbstschädigung aus Solidarität. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit des einen endet nicht da, wo die Angst des anderen beginnt.“
Diese Grenze verläuft fast exakt entlang der alten Zonengrenze, wundert sich Martin Machowecz in der Zeit. Ostdeutsche würden die Impfung für überflüssig halten, weil sie Corona weniger gefährlich finden als der deutsche Durchschnitt, und nähmen das Risiko zu erkranken in Kauf. Wer aber will ein Immunsystem besser einschätzen als dessen Träger?
Machowecz entblödet sich nicht, „ein kühleres, vielleicht schicksalergebeneres Verhältnis zu Krankheit, zu Lebensrisiken, zum Tod“ zu konstatieren, das er „voraufklärerisch“ findet. Das Gegenteil ist richtig: Wer die umfassende Allgemeinbildung der DDR-POS und EOS genossen hat, deren Biologie-Lehrpläne auch Charles Darwin, Robert Koch & Co. beinhalteten, steht aufgeklärt über der irrational-infantilen Todesangst Westdeutscher: Im Osten trifft das Virus auf Gegner, im Westen auf Opfer; im Osten geht man mit dem Tod um, im Westen will man den Tod umgehen. Die Vokabel „bequemlichkeitsverblödet“ des Magdeburger Politikwissenschaftler Thomas Kliche bekommt damit eine neue semantische Nuance. „Vom Osten lernen heißt Leben lernen“, so Andreas Lombard in Cato; ; das betrifft auch und erst recht den Umgang mit Covid, dem „Weltfeind Nr.1“, so Ulrich Schödlbauer auf TE.
„Die inquisitorische Stigmatisierung des Zweifels muss als Form struktureller Gewalt empfunden werden“, klagt Daniela Dahn in der BZ und empfindet es als „verletzend, sich für eine Nicht-Impfung rechtfertigen zu müssen“. Die Behauptung der Politik, es gehe beim Kampf gegen diese Pandemie um Leben oder Tod, war für sie „von Anfang an eine irreführende Anmaßung. Die Herrschaft über den Tod ist uns nun mal nicht gegeben… Aber je mehr künstliche Intelligenz wir kreieren, je mehr natürliche scheinen wir zu opfern.“
Stattdessen wäre man gut beraten, Krankheit nicht in einen Zusammenhang mit Schuld zu bringen. „Impfen als Akt der gesellschaftlichen Solidarität? Von da ist es nicht weit bis zur patriotischen Pflicht. Impfen fürs Vaterland. Demokratie trägt die Versuchung zu Totalitarismus immer in sich“, bilanziert Dahn. Es war schon immer einfacher, andere gegeneinander aufzuhetzen als eigene Fehler einzugestehen. So werden Dolchstoßlegenden geboren: Die Ungeimpften sind schuld.
Diese Grenze bereitet auch vielen reflektierten Publizisten Unbehagen: „Man wird eigentlich gezwungen, eine Seite zu wählen. Und ich versuche, mich zu weigern. Und das mache ich eigentlich auch als Folge des kantischen Imperativs. Weil ich würde am liebsten allen Menschen sagen: ‚Bitte weigert euch! Bitte weigert euch alle, bei dieser Form der Zuordnung mitzumachen!’“, sagt die brandenburgische SPD-Verfassungsrichterin und Autorin Juli Zeh auf Youtube. Das Virus wird bleiben und wir den Umgang mit ihm lernen müssen – einerlei ob wir das wollen oder nicht.
„Wer entschuldigt sich bei Millionen“
Der Widerspruch, jetzt eine Impfpflicht zu fordern, die zuvor über Monate ausgeschlossen wurde, bestärke jene, „die dem Staat ohnehin Unaufrichtigkeit unterstellen, in ihren schlimmsten Befürchtungen“, gesteht Machowecz. Ex-Bild-Chef Julian Reichelt wird noch deutlicher: „Die Impfpflicht, die nun kommen soll, ist der größte politische Wortbruch in der Geschichte der Bundesrepublik. Wer entschuldigt sich bei Millionen Menschen, die genau das vorhergesagt haben und dafür von ihrer eigenen Regierung als Wirrköpfe und Verschwörungsideologen beschimpft wurden?“
Und es ist ja weit mehr als nur Unaufrichtigkeit, wie Torsten Hinz in der JF herausarbeitete: Mittels einer künstlichen, auf Permanenz gestellten Dynamik, die alle persönlichen Energien absorbiere, werde „versucht, eine virtuelle Wirklichkeit mittels administrativer Macht in gelebte Realität zu verwandeln und sich das Leben zu unterwerfen.“ Ihre Wirkung bezieht diese Machttechnik „aus dem Appell an eine menschliche Urangst. Sie verspricht dem Einzelnen die Errettung vor dem Erstickungstod und fordert ihm dafür die Unterwerfung ab, was zur Paralysierung des gesellschaftlichen und privaten Lebens führt.“
Damit werde eine Gewissheit in Frage gestellt, die Konservative als letzte Rückversicherung für sich reklamieren: „die Gewissheit, dass die Wirklichkeit auf ihrer Seite steht und die harte, unwiderlegbare Faktizität alle ideologischen Modelle, Utopien, Weltverbesserungsphantasien wenn nicht über kurz, dann über lang außer Kraft setzt. Wir sehen, dass es möglich ist, eine virtuelle in eine faktische Realität zu übersetzen und die Menschen zu Komparsen in einem falschen Film zu machen.“
Als Gipfel dieser falschen Faktizität muss sicher die soziale Beweislastumkehr gelten: man soll jetzt nachweisen, gesund zu sein, ja sich „frei“ testen. Auf so eine Idee kam noch nicht mal Stalin. Man stelle sich vor, man würde zu 99,7 % keinen Krebs haben – aber vorsorglich zur Chemo gezwungen.
Wie und warum folgten bereitwillig Millionen Bürger, darunter eben auch Publizisten, in diese virtuelle Realität, lautet die drängende Frage. Vielleicht sollte man die Lektüre von Gustave Le Bons „Psychologie der Massen“ auf Wiedervorlage nehmen: „Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer.“
Und so höhnen Politiker wie Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) aus dieser virtuellen Welt ihren Untertanen zu: „Menschen, die in einer eigenen Welt leben, die sind nicht mehr zu erreichen.“ „Teuflisch ist, wer das Reich der Lüge aufrichtet und andere Menschen zwingt, in ihm zu leben“, wusste bereits Arnold Gehlen: „Er verschüttet den letzten Ausweg der Verzweiflung, die Erkenntnis, er stiftet das Reich der Verrücktheit, denn es ist Wahnsinn, sich in der Lüge einzurichten.“
Cicero-Chefredakteur Alexander Marguier konstatiert schon einen „gewissen Gewöhnungseffekt: Wer Maßnahmen, und seien sie noch so absurd oder diskriminierend, hinzunehmen lernt, der verliert auf der Strecke auch jegliche Sensibilität gegenüber anderen Freiheitseinschränkungen.“
Die Pandemie dürfe aber nicht dazu führen, eine ganze Gesellschaft dergestalt weichzukochen, dass einstige Dystopien als neue Realität akzeptiert werden. Entsprechend prophezeit Matissek: „Das Double bind des falschen Freiheitsversprechens gegen Impfung, das im Wahrheit sein Gegenteil bedeutete und trotz Spritze am Ende mehr Unfreiheit, mehr Unsicherheit, mehr Schaden brachte durch weiterhin bestehende ritualisierte Masken-Unterwerfung, Kontakt- und Abstandsregeln auch für Geimpfte: All dies macht ein Volk allmählich wahnsinnig“.
„Grundrechte, nicht Geimpftenrechte“
Es sind also nicht etwa die Gefahren, die vom wahrnehmbaren Zuzug hunderttausender fremder Menschen nach Deutschland ausgehen, darunter vieler krimineller junger Männer, Islamisten und Antisemiten, sondern die von einem unsichtbaren Virus, das keine Übersterblichkeit zeitigt und dessen Opferzahlen geringer sind als die im Grippewinter 2018. Trotzdem wurde Ende November hyperemotional verbreitet, dass die Zahl der Corona-Toten die „traurige Marke“ von 100.000 überschritten habe.
Was dabei vergessen wurde: Laut statistischem Bundesamt starben 2020 insgesamt 985.572 Menschen: 338 001 an Herz-/ Kreislauferkrankungen, 231.271 erlagen einem Krebsleiden. An COVID-19 als Grundleiden verstarben 2020 in Deutschland insgesamt 39.758 Menschen. Das RKI gab allerdings die Zahl von rund 70-80 Tausend an, die „an“ und „mit“ Corona 2020 verstorben sind. Fazit: Mit 4,03 % der Toten rangiert Corona in Wirklichkeit auf Rang sieben der häufigsten Todesursachen.
„Diese Zahlenspielerein des RKI sind hochgradig unseriös – sind die mehr als doppelt so vielen Krebstoten weniger wert?“, empört sich die sozialpolitische AfD-Fraktionssprecherin Baden-Württembergs, Carola Wolle MdL, völlig zu Recht. Allerdings passen hohe Zahlen blendend zum Regierungsnarrativ der Impfpflicht als angeblich einzigem Ausweg aus der Coronakrise. Obwohl in Frankreich und England die Impfquote höher ist, sind da auch die Todeszahlen höher. Interessant ist, dass das RKI selbst zugeben muss, dass die Sterbezahlen momentan wesentlich niedriger als im vergangenen Winter sind. Und dennoch wird unbeirrt am Impfen festgehalten.
Doch die Entdeckung immer neuer Covid-Varianten, Infektionswellen und -wege führt zu immer neuen Regelungen, Vorschriften, Beschränkungen, die für einen Normalbürger kaum noch überschaubar seien, so Hinz: „Dadurch werden die Menschen in eine ständige Unsicherheit, in sinnlose Bewegung und psychischen Stress versetzt, was zu Gereiztheit, Konkurrenz und Feindschaft zwischen den Individuen und den unterschiedlichen Segmenten der Corona-Gesellschaft führt.“ Die Paralyse, die Duldungsstarre macht die Bürger zu leicht kontrollier- und lenkbaren Objekten; die Panik lässt sich endlos verlängern, weil das Endziel – die Ausrottung des Virus – nie erreicht wird.
Prompt behauptet der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs Winfried Kretschmann, man könne die Spaltung der Gesellschaft überwinden, indem sich der Staat freiwillig zum Verantwortlichen der Spaltung macht und die Impfung „an sich zieht“. Das offenbart ein so despotisches Staatsverständnis, dass man langsam am grünen Verstand zweifeln muss. Es ist eben nicht „die Herrschaft des besseren Arguments“, sondern die des längeren politischen Hebels!
Einwände sind neben den Impfdurchbrüchen und den nachgewiesenen Herzmuskelentzündungen die unbekannte mRNA-Technologie und die Schnellzulassung bei parallelem Haftungsausschluss; manche Autoren wie auch der dieses Textes systematisierten bis zu 30 Gegenargumente – wer die alle ignoriert, lebt ähnlich der virtuellen Welt in einem virtuellen Faktenkorridor. Die Regierung zeige spätestens seit dem Aufkommen des Impfstoffs, „dass sie im Grunde verliebt in den Katastrophenzustand ist und diesen daher möglichst lange aufrechterhalten will“, mutmaßt Ulrike Stockmann auf achgut.
Wolle widerspricht auch Kretschmanns Behauptung, mit der Impfpflicht die Gesellschaft zu „befrieden“. „Das Gegenteil ist der Fall: Indem er zugab, dass man gar keine Gesetze bräuchte, wenn sich die Bürger ‚in unserem Sinne verhalten‘, offenbart er das obrigkeitliche Denken, das er seit seinen Maoistenzeiten nie ablegt hat. Die Bürger sind mündig genug, selbstverantwortlich zu handeln!“ Und eine „Zumutung“ sei nicht die Situation auf den Intensivstationen, sondern die Tatsache des Intensivbettenabbaus, des Pflegenotstands – und vor allem die tyrannische Vision von 2 G als künftigem Standard in der Gesellschaft.
Denn wenn die Maßnahmen nur zum Preis allgegenwärtiger Kontrollen und Verstoßmeldungen durchsetzbar sind, stellt sich für Schlott die Frage, welches Menschen-, welches Gesellschaftsbild solchen Vorstellungen zugrunde liegt: „Was verändert sich in den Köpfen der Menschen, die sich für jeden Aufenthalt im öffentlichen Raum demnächst wieder zu rechtfertigen haben und die entsprechenden Berechtigungsnachweise mit sich führen müssen?“ Die Enteignung des Körpers geht mit der Demütigung seiner Seele einher.
„selbstbewusstes Volk als Störfaktor“
In einer Logik, in der jeder Tod, ja jede Infektion als Systemversagen gilt, hat niemand eine Chance, der auf die langfristigen Folgen oder Nebenwirkungen kurzfristig erdachter Maßnahmen hinweist oder „danach fragt, ob es einen Kernbereich des menschlichen Zusammenlebens gibt, der vor staatlichen Eingriffen geschützt werden muss und ob das nicht vom Grundgesetz auch so vorgesehen ist, das in seinen ersten Artikeln fast ausschließlich Abwehrrechte der Bürgerinnen und Bürger gegen den Staat aufführt“, so Schlott. Er erkennt einen „Fünfkampf gegen die Freiheit“, der in den Kategorien „Ausgrenzung, Apokalypse, Abwertung, Aktionismus und Anklage“ ausgetragen werde.
Die Impfpflicht ist eine Maßnahme, die in der Nähe einer Menschenwürdeverletzung liegt und, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt werden kann, so der Jurist Kai Möller in der Welt. „Von einer Person zu verlangen, sich impfen zu lassen, um eine andere Person zu schützen, die sich aus freien Stücken gegen eine Impfung entscheidet, entspricht einer solchen Ausnahmesituation nicht ansatzweise. Hierin liegt der moralische Kernfehler der aktuellen Vorschläge zu einer Impfpflicht.“ Es liege etwas Dunkles und Hässliches, etwas „Totalitäres darin, von einer Person unter Strafandrohung zu verlangen, sich gegen ihren Willen eine Flüssigkeit in den Körper injizieren zu lassen, die dort eine physiologische Reaktion auslöst.“
Laut Grundgesetz heißt es aber immer noch Grundrechte, nicht Geimpftenrechte. Art. 3 Ziff. 3 verbietet Benachteiligung, etwa wegen des Glaubens – aber wegen eines Impfstatus ist sie erlaubt? Macht es Spaß, im Theater zuerst nach seinem Impfausweis gefragt zu werden oder eine Kunstausstellung nur mit Dokument betreten zu dürfen?
In Art. 19, Abs. 2 heißt es ausdrücklich: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ Genau dieser Wesensgehalt wird aber angetastet, so Alexander Grau im Cicero, „wenn man bereit ist, fundamentale Grundrechte für einen hilflosen Aktionismus außer Kraft zu setzen, und etwa Ausgangssperren erlässt, die erkennbar keinerlei direkten Einfluss aus das Infektionsgeschehen haben.“
Die Goldmedaille im Absurditätswettstreit geht an die KZ-Gedenkstätte Buchenwald, in der jetzt 2 G gilt. Titel der Dauerausstellung: „Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945“. Noch verbieten sich Vergleiche von Juden und Ungeimpften. Noch. Setzt Österreich seine Pläne um, Impfverweigerern halbjährlich pro abgelehnte Spritze 2000 Euro Strafe zu berechnen und Zahlungsverweigerer für ein Jahr in separierte (!) Beugehaft zu nehmen sowie die Haftkosten zahlen zu lassen, ist auch das passé.
Stockmann verweist auf den Widerspruch, dass es vor wenigen Jahren hieß, eine Altersbestimmung vorgeblich minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge durch Röntgen der Hand sei ein „Eingriff in die Menschenwürde“: „Warum ist der Zwang zur neuartigen Corona-Impfung kein ‚Eingriff in die Menschenwürde‘? Warum skandieren gewisse Kreise mit Vorliebe ‚kein Mensch ist illegal‘, aber Ungeimpfte werden mit Freuden in die Illegalität getrieben?“
Zur Erinnerung: „Wenn alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot haben“, so Außenminister Heiko Maas (SPD) im Juli, „gibt es rechtlich und politisch keine Rechtfertigung mehr für irgendeine Einschränkung.“ Gesagt, vergessen.
Jens Woitas mutmaßt auf dem Blog Wir selbst, dass wir „in Zeiten eines modernen Feudalismus leben, in dem Untertanengeist gefragt ist und ein kulturell und ethnisch selbstbewusstes Volk allenfalls als Störfaktor für die Herrschenden wahrgenommen wird“. Dieser Heßling’sche Untertanengeist in Kombination mit autoritärer Verbotskultur erweist sich tatsächlich als Schlüssel des Mediendiskurses – und erklärt zugleich seine argumentative Gleichförmigkeit.
„zu stark die Gier der Mächtigen“
So schreibt Pofalla etwa: „Den Leuten nicht bei allem die Wahl zu lassen, kann vernünftig sein – ebenso wie es vernünftig sein kann, mal einer Pflicht einfach nachzukommen, anstatt endlos darüber zu diskutieren, ob sie wirklich, wirklich notwendig ist.“ Der Zweck einer Impfung aber ist ein medizinisch-individueller, kein sozialer. Fast scheint es, als wird damit das seit 2015 verbreitete Narrativ, das Fremde höher zu schätzen als das Eigene, auf die Spitze getrieben. „Warum gehorchen die Deutschen nicht mehr?“ fragt gar Hannes Soltau im Tagesspiegel und beklagt einen „antiautoritären Anarchismus“. Ich gehorche doch im Sinne der Volksgemeinschaft, klingt da unausgesprochen mit, warum bloß gehorchen so viele nicht, wo doch Gehorchen so deutsch ist wie der Führerbefehl?
In seinem eigenwilligen Blick auf den „renitenten Volkskörper“ konstatiert Sascha Lehnartz in der Welt ein „sehr deutsches Körpergefühl“. Zur Erklärung zieht er den Basler Wirtschaftshistoriker Oliver Nachtwey heran, der im DLF zum einen eine ausgeprägte Skepsis gegenüber staatlichen Strukturen in föderalen Systemen erkannte. Zum anderen aber sei der Einfluss der Anthroposophie und ganzheitlicher bis esoterischer Lebensentwürfe deutlich stärker als in anderen europäischen Ländern: „Da kommen quasi linke kulturelle Merkmale mit rechter Politisierung zusammen, und das macht diese extrem toxische Mischung der Impfverweigerung gerade aus“.
Auf die Idee, dass Menschen aus der Kombination genau solcher ideologisch linker und rechter „Zuschreibungen“ ihre individuelle Mitte, ihre Ganzheitlichkeit konstituieren, über deren Normalität sie gar nicht nachdenken, kommen beide Autoren gar nicht mehr.
Bendels fragt, ob die Covid-Strategie der vergangenen anderthalb Jahre nun eher von der Inkompetenz oder vielmehr der Verlogenheit unserer Eliten zeugt: „Denn in demselben Grade, wie sich die Angst vor einer globalen Zombie-Apokalypse als völlig unberechtigt und das Killer-Virus sich als durchaus mit schwereren Grippewellen vergleichbar herausstellte, wurden die Maßnahmen gegen die Pandemie in einer solchen Weise verschärft, dass eine Rückkehr zur Normalität wohl ebenso unmöglich geworden ist wie eine neue Vertrauensbildung in das, was von unserer Demokratie noch übriggeblieben ist.“
Er ist skeptisch ob der Hoffnung, aus diesem „absurden, aber hochgefährlichen Narrativ auszubrechen, das noch vor zwei Jahren als unglaubwürdige Dystopie belächelt worden wäre“: Zu stark sei der Mensch dem Konformitätsdruck der Medien ausgeliefert, „zu stark die Gier der Mächtigen, sich der ungeahnten Vorzüge zu bedienen, die ihnen die Pandemie liefert, zu stark wohl auch die Verführung, Eigenverantwortung abzugeben und durch Gehorsam nach oben und Ressentiment nach unten zu ersetzen.“ Insofern sollte der Plan des „Wellenbrecher-Lockdown“ lieber als das benannt werden, was er ist: ein die Impfpflicht präparierender Willenbrecher-Lockdown.
„Der selbstgerechten Masse in ihrer Niedertracht ist es ganz gleich, ob sie ihren Gruppenrausch in der gemeinschaftsstiftenden Erniedrigung und Verfolgung von ‚Ungeimpften‘ auslebt oder in der von Merkmalsträgern, die – je nach herrschendem Regime – durch Abstammung, Glauben, politische Überzeugung oder wirtschaftliche Situation definiert werden“, wütet Daniel Matissek auf seinem Blog Ansage. „Folge nicht der Mehrheit zum Bösen“, ermunterte der jüdische Publizist Chaim Noll auf achgut und bezog sich auf das 2. Buch Mose 23,2.
Daran sollte man sich gerade in Tagen erinnern, „in denen eine – oft nur dreist proklamierte – Mehrheit zum Fetisch erhoben wird und Abweichler, Andersdenkende, alle Arten ‚Verweigerer‘ und ‚Leugner‘ der Mehrheitsmeinung von Delegitimierung, Denunziation, Ausgrenzung und Verfolgung betroffen sind.“ Wer sich dem öffentlichen Druck anpasst, wird allgemein akzeptiert, gefördert, genießt vielleicht auch die finanziellen Segnungen des Mitmachens, so Noll. Auf der anderen Seite schadet man der eigenen Gesundheit, in dem man Emotionen unterdrückt, erkennt Noll, man verkümmert menschlich und zerstört vielleicht das Beste in sich selbst.
„Das, wofür Menschen heute geächtet werden im Kontext einer Experimentalimpfung gegen ein Virus, das nicht ansatzweise das Bedrohungspotential für eine echte Gesundheitskatastrophe hat (verglichen mit Krankheiten, gegen die wohlbegründete Impfpflichten bereits bestehen!), ist in Wahrheit das Hochjazzen einer freien Willensentscheidung zum Verbrechen, weil diese einem längst übergriffigen Staat nicht in den Kram passt“, meint Matissek.
„darunter brodelt die Barbarei“
Für Schlott ist es nur eine Frage der Zeit, bis der politisch-mediale Erregungschor auch dem letzten Menschen im Land Lebensfreude und Zuversicht geraubt hat. „Weihnachtsfeiern, Weihnachtsmärkte, Karneval, Laternenumzüge: Wer jetzt nichts absagt, gilt als asozial.“ Doch damit stünden alle über Jahre und Jahrzehnte gewachsenen sozialen Bindungen und Beziehungen der Menschen, alle gemeinschaftsstiftenden Traditionen zur Disposition und gelten im Zweifel als gefährlich.
Auch hier interessiert sich kaum jemand dafür, wie sich dies langfristig auswirken wird und was man einer Gesellschaft zumuten kann, bevor die Friktionen zum offenen Bruch führen. Der vom MDR geschasste Ost-Kabarettist Uwe Steimle übt sich in Zynismus: „Es gab Zeiten, Landsleute, da wurde man wenigstens noch gefragt, ob man den totalen Krieg überhaupt will.“
Die Anspielung wurde Anfang Dezember auf erschreckende Weise in die Realität geholt: Von ZDF-Comedian Sarah Bosetti, die mit Blick auf die Impfdebatte auf ZDF-Comedy (!) fragt, ob die Spaltung der Gesellschaft „wirklich etwas so Schlimmes“ wäre. Allen Ernstes schwadroniert sie dann: „Sie würde ja nicht in der Mitte auseinanderbrechen, sondern ziemlich weit rechts unten. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essentiell für das Überleben des Gesamtkomplexes.“
Das ist nicht nur historisch ahnungslos, sondern selbst faschistoid, indem andere für wertlos und verzichtbar erklärt werden. Und das ZDF produzierte diese Ungeheuerlichkeit nicht nur, sondern verbreitet sie immer noch: Die Verrohung schreitet voran; Eskalationsstufe „Humor auf SS-Niveau“.
Denn der Auschwitzer KZ-Arzt und SS-Sturmbannführer Fritz Klein, der 1945 zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, schrieb einst: „Aus Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben würde ich einen eiternden Blinddarm aus einem kranken Körper entfernen. Der Jude aber ist der eiternde Blinddarm im Körper der Menschheit.“
„Im 21. Jahrhundert sind wir wieder soweit“, erregt sich Baden-Württembergs AfD-Fraktionschef Bernd Gögel MdL, „dass solche Metaphern witzig gefunden und mit unseren Zwangsgebühren gesendet werden – Zwangsgebühren übrigens auch von Ungeimpften, mit denen Bosetti bezahlt wird.“ Damit beweist sich einmal mehr das Diktum des Schweizer Soziologen Kurt Imhof „Die Zivilisation ist ein dünner Firnis, darunter brodelt die Barbarei“.
Eigentlich müsste ein objektiv dringend angebrachter Argwohn gegen Zwangsmedikationen und -therapien – gerade bei einem Volk mit dieser Vorgeschichte – das Fühlen, Denken und Handeln der Mehrheit bestimmen. Das Gegenteil ist der Fall.
„Und mich regen wirklich all die auf, die es immer noch nicht begreifen. Alle müssen mitmachen, sich an die Regeln halten, sich impfen lassen! Sonst schaffen wir es nicht und es nimmt nie ein Ende mit Corona“, geifert etwa Degenhardt: „Wenn ein Lockdown kommt, dann seid ihr daran schuld.“
Die physische Integrität eines Menschen, die Würde des Individuums und sein Recht auf Selbstbestimmung dürfen aber nicht aus pragmatischen Erwägungen zur Disposition gestellt werden, befindet NZZ-Chefredakteur Eric Gujer: „Sie gelten absolut, unabhängig von der Mehrheitsmeinung. Das trifft besonders auf medizinische Eingriffe zu. Die Auswüchse staatlicher Zwangsmedizin waren in der Vergangenheit zu barbarisch, als dass das Gespür für die Anfänge solcher Fehlentwicklungen verlorengehen darf.“ Schon Alexander Solschenizyn wusste: „Die Grenze zwischen Gut und Böse läuft geradewegs durch das Herz jedes Menschen. Und wer mag von seinem Herzen ein Stück vernichten?“
Nach Ole Skambraks (SWR) haben mit Jörg Zajonc (RTL West) und Tim Röhn (Welt) zwei Journalisten dieses Gespür jüngst wiederentdeckt und öffentlich gemacht: „Offenbar wachen immer mehr Journalisten langsam aus ihrem Dämmerschlaf auf, der sie zu Sachwaltern statt Kritikern der grassierenden Corona-Einheitsberichterstattung werden ließ“, kommentiert das Podeswa. Röhns Fazit lautet, dass in der Corona-Krise der Journalismus seine zentrale Aufgabe vergessen habe und schleichend dazu übergegangen sei, „Skepsis und Kritik als schädlich zu stigmatisieren“.
Die Vorwürfe an seine Zunft „als Verteidiger der Mächtigen“ wiegen sehr schwer. Sie würden sie gegen jeden Zweifel und jede Skepsis verteidigen, „als wären sie ihre PR-Manager“. Ein Tiefpunkt dieses PR-Journalismus war Anfang Dezember Anne Hähnigs „Reden, bis der Arzt kommt“ über Sachsens Regierungschef in der Zeit, in der etwa zu lesen war: „Er muss ausgerechnet jene Leute vor dem Virus retten, die offenbar nicht gerettet werden möchten und ihn dafür sogar hassen.“ Das steht tatsächlich so da. Man könne eine Person aber nicht zu ihrem eigenen Schutz zwingen, sich impfen zu lassen: Dies wäre „eine nicht zu rechtfertigende medizinische Bevormundung“, so Möller.
Solcherart Bevormundung ist aber kein Merkmal von Demokratien, sondern gleichgeschalteten Diktaturen, in denen die vierte Gewalt Bestandteil nicht nur der ersten ist, moniert Podeswa. „Die anfängliche Auseinandersetzung mit einer möglichen Erkrankung ist zu einer umfassenden massenpsychotischen Angststörung geworden“, resümiert der Hallenser Psychiater Hans-Joachim Maaz. Wobei, muss man hinzufügen, die Angst vor einer künstlichen Plörre im Körper offenbar geringer ist als die Angst vor einer Erkrankung, die nach Tagen überstanden sein, ja symptomlos verlaufen und dabei zu (lebens)langer Immunität führen kann.
„Ende der offenen Gesellschaft“
„Bedenkt irgendjemand noch, dass wir nach einem Ende der Pandemie wieder zusammenleben müssen in diesem Land“, fragt Schlott, und wie das „gelingen soll, wenn sich jede Instanz, die dann wieder zusammenführen könnte (Bundespräsident, Kirchen), zuvor aktiv an der gesellschaftlichen Spaltung beteiligt hat?“ Was unter Joachim Gauck begann, beherrsche seit dem Antritt Frank-Walter Steinmeiers die Normalität, ärgert sich Marco Gallina auf TE: „Nicht der Zusammenhalt des Landes – wer wagt noch von Nation, gar Volk zu sprechen? –, sondern die richtige Unterweisung in dem, was richtig und falsch, was nachahmenswert und was verfehlt ist, prägt nunmehr den Duktus des Staatsoberhauptes.“
Einen Versuch der Zusammenführung unternahm dagegen der linke Bürgermeister der Thüringer 8000-Seelen Gemeinde Neuhaus am Rennweg, Uwe Scheler, der auf der Internetseite seiner Verwaltung schrieb: „Stellen wir gemeinsam nicht mehr die Frage nach der Schuld. Grenzen wir niemanden aus, weil er etwas nicht genauso macht, wie wir es selbst machen. Ziehen wir in Erwägung, dass der andere eventuell auch Recht haben könnte.“
Man kann sich des Eindrucks eines staatlich organisierten Gefügigkeitsgroßversuchs nicht mehr erwehren: Promi-Clips wie Howard Carpendales Boosterspot „Hello again“, Bratwurst-Werbeaktionen oder gar Impfprämien unter dem Label „Aus Corona herauskaufen“ senden Signale für das, was Merkel schon vor Jahren als „Nudging“ dem Volk zur Folgsamkeit verordnete.
Nach dem Auslaufen der „pandemischen Lage von nationaler Tragweite“ ist selbst die FDP inzwischen für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen: „Freiheit ist kein Konzept, das durch Grenzenlosigkeit geprägt ist“, irrlichterte Parteichef Lindner jüngst im Spiegel. Es blieb dem früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck vorbehalten, die Zuspitzung auf die Spitze zu treiben: Ungeimpfte seien einfach nur „Bekloppte“.
Gehorsam, der „ewig verweigerte Orgasmus einer frigiden Kulturnation im Klemmgriff ihrer ‚Erinnerungskultur‘“, kann jetzt endlich wieder eingefordert werden, ergötzt sich Fabian Nicolay auf achgut und erkennt die „kollektive Behauptung einer Gemeinschaftsveranlassung, deren Kern das Solidarisch-Volksgesundheitliche, die Ausdeutung von neuen Volksfeinden, Sündenböcken und Abweichlern ist.
Im Angesicht des Autoritären, Unnachgiebigen und Strafenden werde der Masse eingetrichtert: Widerstand ist zwecklos und asozial. „Das ist die deutsche kleinbürgerliche Wiederaufbereitung kritischer Massen im Schnellen Brüter politischer Allmachtsphantasien.“ Gar das „Ende der offenen Gesellschaft“ nimmt Grau wahr; einen bigotten „Appell all jener, die gerne von Mitmenschlichkeit reden, aber Gehorsam meinen … En vogue sind Gefolgschaft und Gleichschritt. Erwartet wird Geschlossenheit.“
„Die Einförmigkeit der veröffentlichten Meinung dürfte auch in anderen historischen Kontexten dem heutigen Gleichschritt der Massen entsprochen haben“, schreibt Felix Perrefort auf achgut. Dabei haben wir es mit einem doppelten Gleichschritt zu tun: Zum einen ist die einende Gegnerschaft zu Ungeimpften gleichmacherisch. Zum anderen aber muss eine bundesweite Impfpflicht als Höhepunkt kommunistischer Nivellierung gelten. Monika Hausamann konstatiert im EF-Magazin ein „Klima, in dem Impfausweise Tugendausweise sind und wie Verdienstmedaillen herumgezeigt werden.“
Für Gérard Bökenkamp zeigt sich auf achgut ein Konflikt zwischen den Anhängern einer kollektivistischen und einer individualistischen Ethik, wobei Fakten nicht darüber entschieden, was ethisch geboten sei: „Wenn sich die Temperatur auf der Erde erwärmt, folgt daraus keineswegs zwingend eine bestimmte Norm für das Verhalten des Einzelnen. Aus dem Umstand steigender Infektionszahlen folgt nicht, dass der Einzelne dazu verpflichtet ist, Grundrechte aufzugeben. Aus überbelegten Intensivbetten folgt für den Einzelnen keine Pflicht, sich impfen zu lassen.“
Wer Zahlen in die Welt setzt und meint, daraus ergäben sich die Schlussfolgerungen für das Handeln des Einzelnen von selbst, setze auf die psychologische und emotionale Überwältigung seines Gegenübers, was an sich aber noch kein Argument darstelle – denn wenn eine Impfpflicht Leben rette, dann dürfte der Staat in letzter Konsequenz auch eine Blut- oder gar Organspendepflicht etablieren, um Leben zu retten.
„Impfmuffel sind in der Pandemie Volksfeinde“
Dabei frappiert, dass in Carl Schmitts „rechtem“ Diktum „Wer Menschheit sagt, will betrügen“ das Substantiv inzwischen um das „linke“ Personalpronomen „wir“ ergänzt werden kann. Die „Neuen Deutschen Medienmacher“ um ihre Frontfrau Ferda Ataman setzten es 2014 noch auf die rote Liste der auszumerzenden Vokabeln, weil es „ausgrenzend verwendet werden“ kann: Für „wir Deutsche“ ohne Migrationshintergrund.
Und auf der Webseite der Amadeu-Antonio-Stiftung heißt es: „Die Einteilung von Menschen in ‚wir‘ und die ‚anderen‘, die vermeintlich weniger wert sind, ist die Grundlage von Ideologien der Ungleichwertigkeit.“ „Als hätte es diese schwersten Bedenken gegen das Wir nie gegeben, benutzen Corona-Bekämpfer in Politik und Medien die Vokabel mittlerweile exzessiv – zum einen als Majestätsplural, zum anderen zur Kollektivformung“, resümiert Jürgen Schmid auf publico.
Er sieht als Tiefpunkt der Ausgrenzungs-Rhetorik den Satz „Impfmuffel sind in der Pandemie Volksfeinde“ des Datenethikers Rolf Schwartmann auf web.de. In der aktualisierten Fassung dieses Beitrags ist das Wort „Volksfeind“ nicht mehr zu finden, aber in einem redaktionellen Hinweis an dessen Ende – mit der Berufung auf Ibsens Drama „Ein Volksfeind“. Aber wehe, ein AfD-Funktionär nutzt das Adverb „entartet“, das von dem jüdischen Publizisten Max Nordau bereits 1892 geprägt wurde…
Das Volk wird plötzlich wieder als Schicksalsgemeinschaft verstanden, unbedingte Impfbereitschaft als patriotische Pflicht gefordert unter Hintanstellung individueller Befindlichkeiten: „Bei der überhitzten Impfdebatte geht es nicht um Meinungen, Rechte und individuelle Freiheit. Es geht um Haltung“, verkündete Anders Indset in der FAZ.
Haltung? Das ist ebenfalls kein Witz. Willkommen in der DDR. Der Psychologe Rainer Mausfeld wies auf heise.de nach, „dass in allen Machtstrukturen besonders Journalisten, Intellektuelle und Wissenschaftler, die in gesellschaftsrelevanten Bereichen arbeiten, eine Tendenz aufweisen, sich wie Eisenspäne in den Kraftfeldern der Macht auszurichten.“
Doch weder ein altes noch ein neues „wir“ führt zum erwünschten Zusammenhalt, wie er am Anfang der Corona-Krise gebetsmühlenartig auf allen Kanälen beschworen wurde. „Im Gegenteil, es spaltet die Gesellschaft in bisher unbekanntem Ausmaß, weil diejenigen, die es benutzen, ein Feindbild zur Festigung des Wir kultivieren zu müssen glauben, das eine Minderheit markiert und ausschließt“, meint Schmid.
Diese Praxis stehe eigentlich für das Gegenteil von allem, was diskriminierungssensible Progressive für richtig halten, und führe zu querfrontartigen Annäherungen. Dass eine paternalistische Impfpflicht „die Freiheit schützt“, wie die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Bayern erklärten, stellt die Freiheit paradoxerweise ebenso in Abrede, wie sie als Begründung beschworen wird: das Paradox von negativer und positiver Freiheit, von „Freiheit von“ und „Freiheit zu“.
Für Max Mannhart ist auf Tichys Einblick die Frage der Impfpflicht „nicht weniger als die Frage, ob wir weiterhin Bürger sind: frei und gleich an Rechten, nicht dem willkürlichen Zwang anderer unterworfen – oder ob wir nur Bewohner sind, nur Räder in einem Getriebe zur Verwirklichung eines vermeintlichen Gemeinwohls.“ „Die Impfpflicht ist eine verfassungswidrige Anmaßung des Staates“, erkennt sogar Grünen(!)-Urgestein Otto Schily (jetzt SPD) in der Welt.
„Eine allgemeine Impfpflicht wird die schon jetzt erkennbaren Spaltungstendenzen in der Gesellschaft auf hochgefährliche Weise verstärken bis hin zu Gewaltausbrüchen. Das ist nicht zu verantworten“. Nicht einmal in der sonst so vehement als autoritär gescholtenen Volksrepublik China bestehe eine allgemeine Impfpflicht, so Schily.
„Die wäre nicht nur nicht verfassungskonform, sie ist auch ein untaugliches Instrument zur Verhinderung der Ausbreitung des Covid-19-Virus. Sie dient nur der Vernebelung der Tatsache, dass die Politik offensichtlich nicht imstande ist, sich auf die Maßnahmen zu verständigen, die wirklich der Gesunderhaltung der Menschen dienen.“
Marguier warnte gar vor dem Eindruck, „dass da gerade mit der Schrotflinte in den dunklen Raum geballert wird. Und zwar als pures Ablenkungsmanöver. Die Ungeimpften mögen sich irrational verhalten, zumindest aus epidemiologischer Makro-Perspektive. Für die Politik sind sie derzeit aber zweifelsfrei ein Mittel zur Rechtfertigung eigener Unzulänglichkeit.“ Kaiser Augustus wird der Satz zugeschrieben: „Nichts ist besser als einen erfundenen Feind zu schaffen, um das Volk in Schach zu halten.“ Und am besten ist ein erfundener unsichtbarer Feind, mag man heute ergänzen.
„verfassungswidrige Anmaßung des Staates“
Mit Blick auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil erregt sich auch Gerhart Strate im Cicero: „Beinhaltet das Recht auf körperliche Unversehrtheit tatsächlich einen Anspruch darauf, von staatlicher Seite vor Erkrankungen geschützt zu werden? Geht diese Schutzpflicht des Staates sogar so weit, dass Menschen auch gegen ihren Willen vor den Unbilden des Lebens zu bewahren sind?“
Folgerichtig fragt er, ob Übergewichtige dann auch zur Zwangsdiät verdonnert oder Nikotinkonsumenten durch staatlichen Eingriff zum Entzug genötigt werden können: „Mit juristischer Scheinlogik konstruieren jedenfalls ließen sich entsprechende Übergriffigkeiten auf diesem Wege mühelos. Damit hätte das Recht auf körperliche Unversehrtheit seine Unschuld verloren.“
Selbst für den eher linken Juristen Heribert Prantl laufen die Beschlüsse auf den falschen Satz hinaus, „dass Not kein Gebot kennt. Die Gebote stehen aber im Grundgesetz, sie müssen geachtet, geprüft und gewichtet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die einzelnen Freiheitsgrundrechte nicht gewogen, aber für zu leicht befunden.“ Das Grundrecht auf Leben und Gesundheit sei ein großes, wichtiges, wertvolles Grundrecht. „Aber es müssen nicht automatisch alle anderen Grundrechte beiseitespringen, wenn der Staat auch nur behauptet, dass die Maßnahmen, die er verordnet, dem Lebensschutz dienen.“
In Karlsruhe residiere nicht das RKI, sondern das Verfassungsgericht, das andere Aufgaben als das Robert-Koch-Institut habe: „Das Gericht übernimmt die Maßstäbe der Politik. Das Grundgesetz wird von Karlsruhe quasi unter Pandemievorbehalt gestellt“, so Prantl. „Der Körper ist das Hoheitsgebiet des Bürgers und kein sozialpflichtiges Eigentum, über das dessen Angestellte auf Zeit, denn das sind Regierende in der Demokratie, nach Gutsherrenart entscheiden könnten“, befindet der Bioethiker Stefan Rehder in der Tagespost.
„Die von Befürwortern einer allgemeinen Impfpflicht vertretene Auffassung, dass die kollektive Impfung in der gegenwärtigen Situation alternativlos sei, ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand unhaltbar“, heißt es in einer Stellungnahme von drei Dutzend Hochschulmedizinern, die Anfang Dezember auf achgut verbreitet wurde. „Es gibt keine den üblichen Standards folgenden wissenschaftlichen Daten, die belegen, dass die Impfung für jede Bürgerin, jeden Bürger unabhängig von Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen oder anderen Faktoren mehr Nutzen als Schaden stiftet.“ Dem Staat fehle „jegliche wissenschaftliche, rechtliche und ethische Legitimation, sich über den Willen von Bürgerinnen und Bürgern hinwegzusetzen.“
Für Bendels greift „durch die untrennbare Verbindung von Lockdown, Impfpflicht und der Ausgrenzung von Impfgegnern mit dem ideologischen Arsenal der Linken – Transhumanismus, Planwirtschaft, Great Reset, Green Deal, Massenüberwachung, ‚Kampf gegen rechts‘ – mittlerweile ein Räderwerk zusammen, das in seinem totalitären Machtanspruch mit dem geistigen Instrumentarium klassischer Rechtsstaatlichkeit nicht mehr zu fassen ist“.
Mit dem Schuldspruch über die „Ungeimpften“, erschüttert sich Ulrich Schödlbauer auf achgut, betritt zum ersten Mal offen das mythische Opfer, volkstümlich „Sündenbock“ genannt, die parlamentarische Bühne der Bundesrepublik: „Das ist ein historischer Einschnitt ersten Ranges. Siebzig Jahre lang galt die Abwehr solcher Tendenzen als gemeinsame Pflicht aller Demokraten, plötzlich wird das Mitmachen Pflicht. Ein Ethos verkommt zum Mittel des Totschlags. … Eine Politik, die den Ausgang aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit nicht findet (stattdessen kontrafaktische Exit-Strategien propagiert, deren Erfolg angeblich an der Verweigerungshaltung einer Minderheit scheitert), zeigt, dass sie zum Bestandteil des fatalen Sündenbock-Prozesses geworden ist.“
Tatsachenverachtung ist laut Hannah Arendt ein Wesenszug totalitärer Propaganda. Sie zielt darauf, die eigenen Lügen so zu globalisieren, dass sie unumstößlich und damit wahr werden. In diesem Szenario sind wir angekommen. So wird eine Impfpflicht als einziger Ausweg gepriesen, obwohl zugleich 2 G +, wie bspw. im Handel, einen Test von doppelt und dreifach Geimpften erfordert. So surreal kann man gar nicht denken. Ernsting-Chef Timm Homann nannte den „Regelungsirrsinn“ im Spiegel „unverhältnismäßig, ungesetzlich, undemokratisch“ und versprach, gegen diesen „unfassbaren Dilettantismus“ zu klagen „bis zum letzten Euro“.
Soll Freiheit ab jetzt ein sich regelmäßig verschiebendes Ablaufdatum haben, das derzeit 6 Monate beträgt? Und prompt kommt Markus Söder (CSU) mit seinem Plan einer Impfpflicht ab 12 daher – und gesteht gleichzeitig STIKO-Chef Mertens, seine eigenen Kinder nicht impfen zu lassen! Nach der Spaltung der Erwachsenen folgt jetzt auch die Spaltung der Kinder? Mertens sende damit ein „fatales Signal“, urteilt übrigens Benjamin Hirsch im Focus, das „kann und darf er sich nicht mehr leisten“. Was für eine anmaßende Arroganz.
Weil Impfen als „Selbstzweck… die Legitimität des politisch-medialen Komplexes sichert“, begründet Hinz seine Ablehnung, wäre eine Impfpflicht „der Befehl an jeden, sich total, auf Gnade oder Ungnade, in die Hände einer zweifelhaften Obrigkeit zu begeben und sich seine Unterwerfung in den Körper einschreiben zu lassen.“
Freiheit, wusste schon Schiller, kann man aber nur nehmen, nicht geben. Ergo kann man sich aus keiner Obrigkeit herausgehorchen, einerlei ob sie im Gewand eines diktatorischen Sozialismus oder eines biopolitischen Absolutismus daherkommt. Gefragt ist jetzt Widerstand.
Eine sehr gute Zusammenstellung von tagespolitischen Meinungen zur derzeitigen Corona Situation. Schön wäre ein zweiter Teil, indem medizinische Aspekte zu Wort kommen.