Manche Porträts sind so ikonographisch geworden, dass sie
das Bild des porträtierten Künstlers bis in die Moderne hinein prägen. Sein
kurz vor seinem frühen Tod am 28. März vor 140 Jahren von Ilja Repin gemaltes
gehört dazu: Ein aufgedunsenes Gesicht mit wirren Haaren, zerzaustem Bart,
unstetem Blick und roter Säufernase über einem viel zu massigen Körper, den ein
schwerer grauer Mantel mit rotem Kragen umweht, der einen Blick auf das
handbestickte Unterhemd gewährt. 20 Jahre zuvor war der Kadett noch ein
umworbener Mädchenschwarm. Er ging ein in die Musikgeschichte als der Erneuerer der russischen Romantik:
Modest Mussorgsky.
Der Gutsherrensohn wurde am 21. März 1839 in Karewo im
Gouvernement Pskow etwa 290 km südwestlich von Sankt Petersburg nahe der Grenze
zu Estland geboren und verbrachte eine sorgenfreie Jugend. Er lernte von seiner
Mutter und einer deutschen Erzieherin sowie später weiteren Lehrern das
Klavierspiel, beherrschte mit sieben Jahren bereits kurze Stücke von Franz
Liszt und spielte mit neun Jahren vor einem zahlreichen Publikum in seinem
Elternhaus sein erstes Konzert. 1852 trat er in die Kadettenschule in St.
Petersburg ein, wo er sich besonders mit Geschichte und Philosophie
beschäftigte, im Schulchor sang und sich mit russischer Kirchenmusik des frühen
19. Jahrhunderts beschäftigte. Seine erste, seinen Mitschülern gewidmete Komposition
„Porte-enseigne Polka“, wurde auf Kosten seines Vaters gedruckt. In den Kasinos
rühmte man ihn als glänzenden Tänzer und Pianisten, dandyhaft im Auftreten.
Höchst folgenreich für Mussorgsky war im Winter 1856/57 die Begegnung mit Milij Balakirev, der dank privater Unterstützung als Musiker leben konnte. Mussorgsky begann, bei dem drei Jahre älteren Freund Kompositionsunterricht zu nehmen, und wurde von ihm stark beeinflusst. Bald gehörte er zu dem sich um Balakirev formierenden, zunächst geheimen Kreis gleich gesinnter Komponisten, die das Ziel hatten, die russische Kunstmusik unter Einbeziehung der Volksmusik, der besonderen Charakteristik der Sprache, realistischer Sujets und nationaler Themen zu reformieren: Alexander Borodin, Cesar Cui und Nikolaji Rimsky-Korsakow, die sich fortan „Die Fünf“ oder auch „Das mächtige Häuflein“ nennen. Es waren allesamt Musikliebhaber, bewusste Dilettanten, die gegen den akademischen Professionalismus kämpften und aus dem Volkstum Russlands etwas Neues schaffen wollten. Die Bewegung zerbrach letztlich daran, dass das Bürgertum zunächst keinerlei Verständnis für sie aufbrachte.
Repins Gemälde von 1881. Quelle: Tretyakov Gallery, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77230100
1856 dem Preobraschenski-Garderegiment beigetreten, verließ
es Mussorgsky nach einer Krise im Juli 1858 wieder, um sich der Musik zu
widmen. Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft im Februar 1861 änderten sich
Mussorgskys Lebensverhältnisse von Grund auf, seine Einkünfte aus dem
Gutsbesitz fielen weg. Nunmehr mittellos zog er 1863 in St. Petersburg in die WG
der „Fünf“ und nahm im Dezember desselben Jahres eine untergeordnete
Beamtenstellung an, parallel dazu arbeitete er als Konzertpianist. Mit
kleineren Veränderungen verblieb Mussorgsky 17 Jahre lang im Staatsdienst und
musste seine Zeit mit dem stupiden Abschreiben von Akten verbringen, so zuletzt
in der Forstwirtschaftsabteilung des Ministeriums für Staatsbesitz.
„vom Dämonischen bis
zu himmlischer Verklärung“
Es ist naheliegend, dass der Widerspruch zwischen seinem
Schaffensdrang und der stumpfsinnigen Tätigkeit, zu der er sich gezwungen sah,
seinen Hang zum Alkoholismus fatal verstärkte. Die Alkoholkrankheit zeigte sich
schon im Herbst 1865 äußerst bedenklich, als Mussorgsky einen akuten Anfall von
Delirium tremens erlitt, ausgelöst durch den Tod seiner Mutter. Sein Bruder
Filaret holte ihn unter Zwang aus der musikalischen Kommune heraus und ließ ihn
bei sich auf dem Land wohnen, wo sich Mussorgsky insbesondere mit
Orchesterwerken beschäftigte. 1867 gelang ihm mit der sinfonischen Dichtung „Die
Nacht auf dem kahlen Berge“ das erste völlig eigenständige Orchesterstück.
Mussorgski beschreibt darin den Tanz der Hexen in der
Johannisnacht auf dem Lyssaja gora („kahlen Berg“), einem Ort der slawischen
Mythologie, der ähnlich dem Blocksberg als Versammlungsort der Hexen gilt. Allerdings
stieß das Werk auf massive Ablehnung durch die Komponisten-Kollegen: Balakirew
vermerkte in der Partitur mehrfach „unsinnig“. Mussorgski verteidigte sein Werk
in einem Brief an Rimski-Korsakow vom Juli 1867. Dennoch wagte er es in der
Folgezeit nicht mehr, sich um eine Aufführung zu bemühen, und komponierte auch
keine weiteren Orchesterwerke mehr.
Für Wilhelm Zentner ist Mussorgskij „eine ebenso elementare musikalische wie dramatische Begabung“. Seine persönliche Handschrift zeigt sich in Elementen, die im traditionellen Komponieren keinen Platz haben, darunter ungewöhnliche Akkordverbindungen, eine schroffe, gelegentlich modal-altertümlich, ja asiatisch anmutende Harmonik oder eine eigenwillige Instrumentation. Wegen solcher scheinbarer Fehler oder Ungeschicklichkeiten wurde Mussorgsky im Freundeskreis und darüber hinaus als Stümper oder Dilettant belächelt. Dabei sind es gerade diese besonderen Charakteristika, die seiner Musik ihre spezifische Eindringlichkeit und Kraft verleihen und mit denen er auf spätere Komponisten wie Debussy und Ravel gewirkt hat. Die Oper „Die Heirat“ (1868) blieb wie viele andere Stücke Fragment. Mit „Die Kinderstube“ (1868–72) begann er zugleich einen von mehreren Zyklen mit Klavierliedern.
Godunov-Szene am Bolschoi-Theater. Quelle: http://www.gcprive.com/boris-godunov/
Mussorgskys Hauptwerk ist die Oper „Boris Godunov“, die in
erster Fassung in den Jahren 1868/69 entstand und 1872 noch einmal wesentlich
erweitert und bearbeitet wurde. Von der Uraufführung 1874 an wurde sie mehrere
Jahre lang regelmäßig am Marinskij Theater gespielt, dann aber aus dem
Spielplan gedrängt, auch weil die Oper als politisch bedenklich eingestuft
wurde. Vom Komponisten „musikalisches Volksdrama“ genannt, variiert sie Motive
des gleichnamigen Dramas von Alexander Puschkin. Die historische Person Boris
Godunow war russischer Zar von 1598 bis 1605 und gilt in der monarchistischen
Geschichtsperspektive als Usurpator, der allerdings von der damaligen
Volksvertretung gewählt worden war. Sie kam erst nach mehrmaliger Ablehnung
durch die Leitung des Mariinsky Theaters und dann in veränderter Form dort auf
die Bühne – nötigte aber doch auch den Gegnern Hochachtung ab. Peter
Tschaikowsky freilich beschied der Oper: „Sie ist eine gemeine, niederträchtige
Parodie auf die Musik.“
Mussorgsky kombinierte in seiner Oper Realistisches mit
Rituellem, Humoristisches mit Psychologischem und hat wie Richard Wagners „Tristan
und Isolde“ „zukunftweisend und anregend auf die Entwicklung der Oper gewirkt“,
befindet Zentner. Seine Tonsprache und ihre faszinierende Wirkung entzögen sich
rein verstandesmäßiger Deutung: „Staunenswert ist die Spannweite dieser Musik,
die von der naiven Kinderweise bis zu wildester Leidenschaft, vom derbsten
Humor bis zu keuschester Verinnerlichung, vom Dämonischen bis zu himmlischer
Verklärung reicht und für alles den natürlichsten, treffendsten Ausdruck findet.“
Durch die Verwendung von Kirchentonarten, den vermehrten Einsatz von Chromatik
sowie die realistische Darstellung des Volkes und seiner Reaktionen fällt der
Chor aus dem zeitgenössischen Rahmen damals in Russland beliebter ausländischer
Opern (z. B. Giuseppe Verdis), aber auch der Romantik eines Tschaikowski.
„kein Platz für
Gesetze“
1873 stirbt der Maler und Architekt Viktor Hartmann, ein guter Freund Mussorgskys. Zu seinem Andenken wird in St. Petersburg eine Ausstellung mit Hartmanns Werken organisiert: Da hängen die „Hütte der Hexe Baba-Yaga“, die finsteren „Katakomben von Paris“ oder auch das prächtige „große Tor von Kiew“. Er sieht die Bilder an, und in seinem Inneren verwandeln sie sich in Musik – in Tongemälde. Er geht nach Hause, setzt sich ans Klavier und komponiert eine musikalische Galerie, wo sie alle wieder hängen: Die „Bilder einer Ausstellung“. Daneben vollendet er mit „Ohne Sonne“ (1874) und „Lieder und Tänze des Todes“ (1874–77) nach Gedichten von Alexej Tolstoi zwei weitere Liederzyklen.
Adaptionen in der elektronischen Musik. Quelle: eigene Darstellung
1878/79 raffte er sich trotz schwerster Alkoholprobleme zu
einer dreimonatigen Konzertreise zusammen mit der Altistin Daria Leonowa in die
Ukraine, die Krim und zu Städten an Don und Wolga auf. Am 13. Januar 1880
musste Mussorgsky den Staatsdienst wegen seiner Trunksucht verlassen, erhielt
jedoch unter der Bedingung, dass er seine halbfertige Oper „Chowanschtschina“
zu Ende bringe, eine Pension von 100 Rubel zugebilligt. Doch sowohl die als
auch die komische Oper „Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“ (1876–78) nach einer
Erzählung von Nikolai Gogol bleiben unvollendet.
In seinem letzten Lebensjahr lebte er teilweise bei Daria Leonowa auf ihrem Landgut, arbeitete als Begleiter und Theorielehrer in der von ihr gegründeten Musikschule in St. Petersburg. Ende Februar 1881 wurde er in das Nikolajewski-Krankenhaus eingeliefert und starb nach einer scheinbaren Erholung Mitte März, während der Repin sein berühmtes Bildnis malte, am 28. desselben Monats nach einem Schlaganfall. Ihm zu Ehren tragen seit 1961 die Mussorgsky Peaks seinen Namen, zwei Berge auf der Alexander-I.-Insel in der Antarktis. Auch eine russische Münze zeigt sein Porträt. Seine Kompositionen haben ihren Siegeszug durch die Konzertsäle und Opernhäuser der Welt in der Regel nicht in der Gestalt angetreten, die Mussorgsky ihnen gegeben hat, sondern in Bearbeitungen, die tief in ihre Substanz eingreifen. Viele wurden durch seinen Freund Rimski-Korsakow bearbeitet und „korrigiert“, so „Chowanschtschina“.
Die „Bilder einer Ausstellung“ sind von mehreren anderen Komponisten orchestriert worden; die bekannteste Version stammt von Maurice Ravel. Aber auch in der elektronischen (Isao Tomita) und Rockmusik (Emerson, Lake & Palmer, Stern Meißen) sowie in mehreren Filmen wurden der Zyklus sowie Themen anderer Kompositionen gern adaptiert, so in Disneys Zeichentrickfilm „Fantasia“ oder Monty Pythons „Jabberwocky“. Zu allem Überfluss wurde Mussorgskys Schaffen in den Debatten um den Sozialistischen Realismus, zu dessen direktem Wegbereiter der Komponist erklärt wurde, hemmungslos instrumentalisiert. Er selbst formulierte das Credo seines Schaffens so: „Wo es sich um Menschen, um Leben handelt, da ist kein Platz für vorgefasste Paragrafen und Gesetze.“
Meine letzte Rezension liegt schon
ein Weilchen zurück, aber ich fand zwischendurch auch kein Buch, das mich zu
einem längeren Text herausgefordert hätte. Das änderte sich nach der
Krankenbettlektüre eines 399-Seiten-Romans, der in den Feuilletons 2019 nachgerade
enthusiastisch besprochen wurde: Sally Rooneys „Gespräche mit Freunden“ (orig. „Conversations
with Friends“ 2017) – das Manuskript der damals vollkommen unbekannten irischen
Autorin, Jahrgang 1991, war lukrativ versteigert worden. „Die wichtigste Stimme
der Millennialliteratur“ hat der Independent
sie genannt. Für ihr Erstlingswerk wurde Rooney 2017 von der Sunday Times als „Young Writer of the
Year“ ausgezeichnet. Man kann noch erwähnen, dass sie mit 22 Jahren
Europameisterin im Debattierwettbewerb der europäischen Universitäten, dem EUDC,
wurde.
„Gnadenlos intelligent“ jubelt die
FAS, die Generation der Millenials
würde darin „hellsichtig seziert“ (FAZ),
die Sprache sei „schnörkellos“ und „mondän“ (FAZ), ja „warmherzig“ (DLF),
die Dialoge gar „atemberaubend“ (FAZ),
kurz der ganze Hype „in diesem Fall glücklicherweise komplett berechtigt“ (Süddeutsche). Von gelegentlicher
Einzelkritik abgesehen, fand ich nicht einen Verriss. Soso. Nach meiner Lektüre
allerdings war ich ordentlich durchgeärgert. Weniger wegen der vertanen
Lebenszeit (hätte ich halt ein anderes Buch gelesen), sondern eher der geradezu
unheimlichen Kongruenz von schlechter Literatur mit bester Kritik: wieso werden
selbst abartige literarische Fehler derart unisono positiviert und ins
Gewollte, ja Gekonnte uminterpretiert, wie das etwa der Spiegel mit dem Terminus „geniale Vagheit“ praktiziert?
Was ich las, war, knappstmöglich
bilanziert, langweiliges, blutleeres, pubertäres Geschwätz. Dabei, und die
Plattitüde muss jetzt sein, entsprach die Autorin perfekt meiner Imagination
der Protagonistin: Ein langweilig-schnippisches „Wasch-mich-aber-mach-nicht-nass“-Püppchen
mit Emaille-Wangen, ausdruckslosen Augen, zu großer Nase, dafür sehr sinnlichem
Mund und kleinen Brüsten, gekleidet in eine unscheinbare Bluse und einen
Faltenrock, der einen Blick auf ihre etwas zu strammen Waden freigab. Die NZZ nannte sie „ein bisschen linkisch“,
obwohl sie genau diesen Eindruck ihrer Hauptfigur machte: Den einer
Literaturstudentin mit dem Drang zu geradezu zwanghafter Selbstbeobachtung und –beschreibung,
zwischen Selbstzweifel und Selbststilisierung, die mehr Geist als Körper ist
und zu ihren eigenen Gefühlen keinen Zugang findet. „Ich war nicht, wer ich
vorgab zu sein“, bringt die Ich-Erzählerin das selbsterkannte Dilemma auf den
Punkt.
Sie heißt Frances und war mit ihrer besten Freundin Bobbi während der Schulzeit ein Paar – das Switchen zwischen verschiedenen sexuellen Identitäten wird nicht weiter thematisiert, sondern ungeachtet aller psychischen Folgen als selbstverständlich genommen. Mittlerweile studieren beide am prestigeträchtigen Trinity College in Dublin und treten als Duo bei Spoken-Word-Events auf – Poetry Slam, sagt man hierzulande. Frances schreibt alle Texte, Bobbi ist die bessere Performerin.
Als die beiden eines Abends die
37-jährige Kulturjournalistin Melissa und später ihren jüngeren, erfolgloseren
Mann Nick, einen mittelmäßigen Aktor kennenlernen, überträgt sich diese
Aufgabenteilung auch auf ihr Liebesleben. Während Bobbi direkt mit Melissa zu
flirten beginnt, ist Frances‘ erster Schritt bei Nick, ihm eine Mail zu
schreiben. Die restliche Handlung verliert sich in minimalistischer,
unterkühlter Sprache an unterschiedlichen Schauplätzen und mittels diverser
Medien wie Dialogen, Mails, Chats im komplizierten Beziehungsgeflecht aus
Zuneigung, Abneigung, heimlichen und später offenen Affären zwischen diesen vier
Figuren.
„Marxismus als Stilrepertoire“
Das Buch kreist dabei um zwei
Dinge. Zum einen um Geld, Macht und den Kapitalismus. Auf dem Weg zu Melissas
Haus erklärt Bobbi ihrer neuen Bekannten: „Ich bin lesbisch, und Frances ist
Kommunistin“. Während der ersten richtigen, postkoitalen Unterhaltung zwischen
Frances und Nick heißt es: „Beim Abendessen tauschten wir ein paar Details aus
unserem Leben aus. Ich erklärte ihm, dass ich den Kapitalismus zerstören wolle
und dass ich Männlichkeit persönlich als unterdrückend empfand. Nick sagte, er
sei ,grundsätzlich‘ ein Marxist, und er wolle nicht, dass ich ihn verurteile,
weil er ein Haus besaß.“ An einer anderen Stelle sagt Frances „Ferienhäuser
egal wo zu haben sollte gesetzlich verboten sein.“
„Bobbi hatte eine Art an sich, mit
der sie überall dazugehörte“, beschreibt Frances. „Obwohl sie sagte, sie hasse
die Reichen, war ihre Familie reich, und andere wohlhabende Menschen erkannten
sie als eine der ihren an. Ihre radikale politische Einstellung betrachteten
sie als so etwas wie bourgeoise Selbstkritik, nichts allzu Ernsthaftes, und
sprachen mit ihr über Restaurants oder wo man in Rom wohnte. Ich fühlte mich in
diesen Situationen fehl am Platz, unwissend und bitter, hatte aber auch Angst
davor, als halbwegs armer Mensch und Kommunistin identifiziert zu werden.“
Scheinbar alles, was Frances (und auch Bobbi) tun, tun sie in einer ständigen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Umständen und in gewisser Weise auch mit sich selbst, filtern es durch Klassen- und Geschlechterverhältnisse, geprägt von Zukunftsängsten und echter materieller Not: Eine Zeit lang lebt Frances von Toastbrot. Denn Frances‘ alkoholkranker Vater kann seiner Tochter monatelang keinen Unterhalt überweisen, auf den die Studentin dringend angewiesen ist. Trotzdem strebt Frances keine Karriere an.
Die Autorin, inszeniert von Klaus Holsting. Quelle: https://img.nzz.ch/2019/7/30/9c1113bb-41a8-4f56-9af1-70afed8f0548.jpeg?width=1360&height=2029&fit=crop&quality=75&auto=webp
Der Anfang Zwanzigjährigen
erscheint eine Festanstellung, ja Lohnarbeit überhaupt weder aussichtsreich
noch erstrebenswert. Lustlos absolviert sie zwar ein unbezahltes Praktikum in
einer Dubliner Literaturagentur. Ihren prekären Lebensstil hat sie jedoch
längst zum Programm erhoben. „Ich hatte verschiedene Niedriglohnjobs in den
vergangenen Sommerferien und ich ging davon aus, dass es nach meinem Abschluss
so weitergehen würde. Auch wenn ich wusste, dass ich irgendwann eine
Vollzeitstelle antreten musste, phantasierte ich garantiert nie von einer
strahlenden Zukunft, in der ich dafür bezahlt wurde, eine wirtschaftlich
relevante Rolle einzunehmen.“
Einmal erklärt sie wie fürs
Protokoll, „dass mein Desinteresse an Reichtum ideologisch gesund war. Ich
hatte nachgesehen, wie hoch das durchschnittliche Jahreseinkommen wäre, wenn
das Weltbruttosozialprodukt gerecht auf alle verteilt würde, und laut Wikipedia
läge es bei 16 100 Dollar. Ich sah keinen Grund, weder politisch noch
finanziell, warum ich je mehr als diese Summe verdienen sollte.“ Das hält sie
jedoch nicht davon ab, sich ins französische Sommerhaus von Melissa und Nick
einladen zu lassen und Wein und Lamm zu genießen.
Klassenunterschiede mobilisieren
keine Wut, münden noch nicht einmal in Konsumkritik oder werden sonstwie
hinterfragt, sondern einfach nur vage als „schlecht“ beschrieben.
Selbstgenügsamkeit, provozierte Bescheidenheit oder passive Duldungsstarre vor
einem als monströs empfundenen sozialen Moloch: Nichts genaues weiß man nicht. „Marxismus
erscheint so als ein Stilrepertoire, ein Slang unter vielen, dessen sich
Rooneys polyglotte Figuren je nach Bedarf bedienen“, erkennt Anna Pilarczyk im Spiegel.
„das Recht, niemanden zu lieben“
Zum anderen geht es um Krankheit,
Liebe, Freundschaft, die vielen Abstufungen dazwischen, und um Gefühle, die so
stark sind, dass die Ich-Erzählerin sie nur ertragen kann, indem sie sich
selbst physische Schmerzen zufügt und ritzt, womit sich der Kreis zur Krankheit
schließt: sie leidet, wie später festgestellt wird, unter Endometriose, was
fatal heilkundliche Befunde unterstützt, wonach Gefühle, wenn sie nicht
externalisiert werden, sich nach innen richten.
Denn Frances tut alles dafür, um
von ihrer Umgebung für cool, souverän und unabhängig gehalten zu werden:
Gefühle unterdrücken, lügen, Chatnachrichten erst schreiben und dann doch
wieder löschen… als sei sie in eine ständige Selbstbefragung verstrickt. Wie
wirke ich auf andere, wie komme ich an, bin ich gut genug? Wichtig ist eine
gewisse Coolness, die nur aufrechtzuerhalten ist, wenn man Distanz wahrt, zu
anderen, aber auch zu sich selbst. So lebt sie ihr Leben nicht, sondern
kuratiert es. Aber wo wird es ausgestellt, wer soll es sehen?
Denn gleichzeitig dreht sich bei ihr alles um das eigene Ego, die eigene Befindlichkeit. Ein gefährlicher Spagat, der verletzbar macht. Sich dem zu entziehen, gelingt halbherzig, indem sie möglichst wenige Gefühle zeigt, auch wenn sie sie in den Sozialen Medien oft inflationär zur Schau stellt, aber in der Realität vorsichtig, ja misstrauisch ist: „Als Feministin habe ich das Recht, niemanden zu lieben.“ Sie ist trotz der fast symbiotischen Beziehung zu Bobby einsam – als sie Sexbilder eines US-Studenten erhält, ist sie völlig überfordert und findet außer der Löschtaste keine Bewältigung: „Ich erzählte niemandem davon, es gab niemanden, dem ich davon hätte erzählen können.“ So verhält es sich auch in der Liebesbeziehung, die Frances mit Nick eingeht, zunächst im Geheimen, dann mehr oder weniger geduldet von Melissa.
Die Autorin als europäische Debattenkönigin. Quelle: http://www.universitytimes.ie/wp-content/uploads/2013/09/883839_10151857318394199_431750601_o.jpg
Also seziert sie neben den anderen
und der Welt vor allem sich selbst, auch im Spiegel, auch auf Fotos. Das geht
soweit, dass sie oft genug ihren Gesichtsausdruck ahnt und beschreibt, ohne ihn
zu sehen. Was sie erlebt, ist oft genug begleitet von einem Bewusstsein dafür,
wie man es später beschreiben könnte, und wenn etwas Unangenehmes passiert,
denkt Frances „sogar darüber nach, wie lustig ich in einer E-Mail darüberschreiben
könnte“.
Dieser Zwang, verbunden mit ihrer
ärmlichen Herkunft, macht sie oft blind für die Nöte und Empfindlichkeiten der
anderen – mit manchmal verheerenden Folgen. Ihre Liebe zu Nick trägt das
Korsett eines prononcierten Machtanspruchs: Glück heißt für sie, „die volle
Kontrolle“ in der Beziehung zu haben. „Ich könnte gehen, dachte ich, und
darüber nachzudenken fühlte sich gut an, als hätte ich wieder die Kontrolle
über mein Leben.“
Dabei wird permanent die
Ambivalenz zwischen ihrem eigenen Innenleben und ihrer Außenwirkung thematisiert:
„Ich war aufgeregt, bereit für die Herausforderung, in die Wohnung einer
Fremden zu gehen, und legte mir schon ein paar Mienen und Komplimente zurecht,
um charmant zu wirken.“ Zu wirken, wohlbemerkt, nicht zu sein. Reflektieren
statt leben. Diese Kombination aus Unsicherheit, Verletzlichkeit und Narzissmus
ist nicht nur die härteste Waffe, die Frances im Umgang mit ihrem Umfeld hat,
sondern eben auch ihre offene Flanke.
Ihre Verfasstheit gipfelt in
religiösem Sendungsbewusstsein: „Jesus wollte immer der bessere Mensch sein,
ich auch.“ „Die größte Grausamkeit für Rooneys Generation, zu der ich auch
gehöre, ist aber, dass wir von der Welt geliebt werden wollen, von der wir vorgeben,
sie zu hassen“, hat die junge Kritikerin Madeleine Schwarz Rooneys Paradox in
der New York Review of Books
zusammengefasst.
„ihr Inneres zu verschleiern“
Dabei geizt Rooney geradezu mit
Details, jede Information, die ein zu klares Bild von einer Figur geben könnte,
spart sie aus. Nick wird schnöde mit den Worten „Er hatte ein großes, schönes
Gesicht“ skizziert. Konterkariert wird diese figürliche Detailarmut von
funktionalem Detailreichtum, wenn es etwa vor einem Lyrikevent heißt: „Wir
hatten eine Flasche Weißwein reingeschmuggelt, die wir uns auf dem Klo
teilten.“ Dass Plastebecher beim Vertilgen der Konterbande zum Einsatz kamen,
versteht sich von selbst.
Selbst popkulturelle Verweise hält Rooney abstrakt. So heißt es an einer Stelle, dass sich Nick und Frances „einen iranischen Film über Vampire“ ansehen. Als Ausweis dafür, dass die beiden einen anspruchsvollen Filmgeschmack haben, reicht das völlig. Wer es weiß, denkt sich hinzu, dass es sich um „A Girl Walks Home Alone At Night“ von Ana Lily Amirpour handeln muss. Wer es nicht weiß, hat an Bedeutung aber auch nichts verpasst. Diese Ambiguität aus einerseits pseudointellektuellem Gebaren, das andererseits gar nichts bedeutet, macht den Roman in Gänze so belanglos: Nicht umsonst fragt sich Frances, „warum ich mich nicht für mein eigenes Leben interessierte“.
Die Autorin 2017. Quelle: https://i2.wp.com/literaturreich.de/wp-content/uploads/2019/08/24872619808_b01b153932_b.jpg?w=1024&ssl=1 Foto von Chris Boland www.chrisboland.com
Rooneys lakonische Dialoge drehen
sich permanent um das Offensichtliche und zugleich mitschwingende Verborgene,
die Figuren sind nicht dümmer als die Autorin. Tilman Spreckelsen mutmaßt in
der FAZ, dass das „nicht nur an den
Lügen und Heimlichkeiten“ liege, an dem vielen, das angedeutet und falsch oder
gar nicht verstanden wird, an dem, was auf der Zunge liegt und dann doch nicht
gesagt wird oder den intensiv empfundenen, aber höchst wandelbaren Emotionen. „Es
liegt auch nicht nur an den Techniken, die gerade die älteren Protagonisten
ausgebildet haben, ihr Inneres zu verschleiern, was wiederum auf den Argwohn
der anderen trifft.“ Wer eine moderne Ausprägung des Spengler’schen „Ibsen-Weibs“
sucht – hier wird er fündig.
Der Titel lässt zu Recht
durchblicken, dass es sich um ein schier endloses Palaver handelt, das sich
noch dazu in Textnachrichten und Mails fortsetzt, die als Frances’ Gedächtnis
erscheinen: Hier geht sie mit der praktischen Suchfunktion vergangenen
„Gesprächen“ nach, die Melancholie beim Lesen alter Briefe findet ihre
zeitgemäße Fortsetzung. Denn wenn unsere Gegenwart immer komplexer und jede
Information darin digital jederzeit verfügbar wird, lässt sich die Welt – auch
erzählerisch – nur durch radikale Selektion bewältigen.
Bei dieser Selektion kann man als
Autorin subjektiv vorgehen oder die Datenmenge per Suchalgorithmus eingrenzen,
so wie Frances es anhand ihrer Chats mit Bobbi beschreibt: „Diesmal lud ich mir
unsere Unterhaltungen als riesige Textdatei mit Zeitstempeln herunter. Ich
sagte mir, sie sei zu groß, um sie von Anfang bis Ende zu lesen, und sie hatte
auch keine durchgehende erzählerische Form, also beschloss ich, sie zu lesen,
indem ich nach bestimmten Wörtern oder Phrasen suchte und um sie herum las.“ Miriam
Zeh orakelt im DLF: „Die Autorin
hätte vermutlich nichts dagegen, wenn ihre Romane auf dieselbe Weise gelesen würden.“
Auch psychologisch verblüfft der
Roman durchs Ungefähre. Immer wieder werfen die Figuren mit ihrem Verhalten
Rätsel auf, irritieren durch plötzliche Tränen oder zynische Ausbrüche. Ihre
Figuren entstammen einem bestimmten Milieu, einer weißen und überdurchschnittlich
gebildeten, urbanen Mittelschicht. Hier – und nur hier – diskutiert man über
den kapitalistischen Nutzen von Monogamie, über das kommunistische Manifest und
über Gilles Deleuze. „Nervig-pseudointellektuelles Gelaber“ stöhnt selbst Nina
Apin in der taz, aber meint zugleich:
„Die Sexszenen sind ziemlich gut. Und das ist wirklich selten.“ Entweder hat
sie einen anderen Text gelesen, oder ich will mir nicht ausmalen, wie ihr
Sexleben aussieht.
„Ich habe keine Agenda“
„Über weite Strecken scheint Sally
Rooney selbst nicht zu wissen, wohin sie sich als nächstes schreibt. Ein
heimliches Treffen von Nick und Frances reiht sich ans nächste“, erkennt Zeh. Erzählstränge
versanden mit offenen Enden, Konsequenzen werden nicht ausgesprochen und Fragen
nicht gestellt. Als „Geschichte ohne Fazit“, die zu peinlich sei, um erzählt zu
werden, bezeichnet Frances einmal einen ihrer Tage und fasst damit Rooneys
gesamten Roman zusammen: „eine Absage an die vollständige Erzählbarkeit einer
zwischenmenschlichen Beziehung und eine Absage an den Autor als Allmacht.“ Dazwischengetupft
immer mal ein Bild, das ihre durchaus vorhandenen Ansätze erkennen lasst wie „Im
Bett falteten wir uns wie Origami ineinander“ oder „Die Luft schien hilflos auf
den Straßen gefangen“. Aber auch hier Begrenztheit und Passivität.
Der Übersetzung von Zoë Beck gelinge
es, dabei immer dieselbe Texttemperatur zu halten, meint Meredith Haaf in der Süddeutschen. Es stecke ein „austrainierter“
und doch „warmer, lebendiger Intellekt“ hinter dem Text. Aha. „Easy reads“
nennt man im Englischen süffige, voraussetzungsarme Lektüren, bei denen man
rasch von einer Seite zur nächsten blättert – das trifft es besser. Einen
„Entwicklungsroman“, den Anne Kohlick im DLF
gelesen haben will, konnte ich gleich gar nicht entdecken. Denn der Text – der
Mann bleibt bei seiner Frau, die Liebhaberin vielleicht ratlos-verletzt,
dennoch solo – steuert auf ein offenes Ende hin: „Ist es möglich, dass wir ein
Alternativmodell entwickeln, wie wir einander lieben?“
Da wird eine Beziehung zer- und die Emotionalität einer naiven Kind-Frau nachhaltig verstört, aber all das plätscherte so dahin, hätte auch anders verlaufen können und wird in seinen Folgen eher niedlich ausfallen – oder gewaltig. Weder die Erzählerin noch die Autorin kümmerts: „Ich habe keine Agenda. In meinem Roman bin ich nicht daran interessiert, über die Dinge zu urteilen – auch nicht über Dinge, die mir sehr am Herzen liegen … Ich bin nur daran interessiert, es zu beobachten, und wenn ich es sehe, werde ich darüberschreiben“, sagte sie der FAZ. Angela Schade befand in der NZZ: „Das kalte Feuer, das durch diesen Roman irrlichtert, hat die Figuren zwar nicht verzehrt; aber es lässt sie als gebrannte Kinder zurück.“
Die Autorin bei einer ihrer vielen Preisverleihungen. https://www.irishtimes.com/polopoly_fs/1.3719652!/image/image.jpg_gen/derivatives/landscape_620/image.jpg
Mich frappierte daneben die Menge
an Meta-Text, die Rooney und ihr Roman produzierten: neben Essays,
Autorenporträts und Rezensionen auch Instagram-Posts von Prominenten wie Sarah
Jessica Parker. Prompt musste auch Haaf die Frage aufwerfen, „ob das nicht einfach
Wohlfühlliteratur für ein arriviertes Publikum ist. Und ob man da nicht einfach
nur einer sehr gut gemachten intellektuell-literarischen Hochstapelei
aufgesessen ist.“ Sie traute sich offenbar nicht, Ja zu antworten. Ich schon. Was
sich vielleicht aufmachte, die Formen und Bedingungen ihres eigenen Begehrens
und das der anderen zu reflektieren und den Versuch zu machen, sich diesen
Prägungen zu entziehen, endet im literarischen Nirvana.
Es gab mal Zeiten, da galten irische
Autoren als Maß aller Dinge. Zu den irischen Trägern des Literaturnobelpreises
zählen William Butler Yeats (1923), George Bernard Shaw (1925), Samuel Beckett
(1969) und Seamus Heaney (1995). Diese Zeiten, muss man angesichts von Rooney
konstatieren, sind dahin. Unwiederbringlich. Das für mich positivste an der
Causa folgt zum Schluss: Mit ihrem zweiten Roman „Normal People“ stach Rooney
2019 in Großbritannien Michelle Obamas Autobiografie als „Buch des Jahres“ aus.
Was wiederum viel über die Qualität des Obama-Textes aussagt. Oder die der
Übersetzung. Vielleicht stammte die ja von einem unsensiblen, alten, weißen
Mann, der sie gar nicht hätte verfertigen dürfen…
Einen „Sprachkampf“ ums Deutsche erkennt der Linguist Hennig Lobin. Doch Sprachpolitik ist nur ein Aspekt von „Identitätspolitik“, die jetzt auch Linke, ja die ganze Gesellschaft neu zu spalten droht.
Meine neue Tumult-Kolumne, die hier nachgelesen werden kann und natürlich gern geteilt werden darf.
dass ich Ihnen binnen eines Jahres zum zweiten Male einen
„Offenen Brief“ schreibe, ja schreiben muss, ist für beide Seiten kein gutes
Zeichen. Für mich, da meine Anliegen im Namen meiner Partei für Sie offenbar
ignorabel sind; für Sie, da Ihr Sender offenbar ohne Ihre Führung schaltet und
waltet, wie ihm gut dünkt.
Der zur Rede stehende Fakt ist rasch berichtet: während ich als Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg letzte Woche meinen Fraktionschef und Spitzenkandidaten Bernd Gögel MdL noch problemlos zur Radio-Liveübertragung von „Leute heute“ (SWR 1) ins Stuttgarter Funkhaus begleiten durfte, wurde mir das zur TV-Aufzeichnung eines Interviews für das ARD-Mittagsmagazin diese Woche bereits verwehrt – neben dem Ausfüllen eines Corona-Kontaktformulars gesellte sich plötzlich die Ansage, ohne Maske das Gebäude nicht mehr zu betreten. Ich bin aus medizinischen Gründen, die außer meinen Arzt niemanden auf dieser Welt zu interessieren haben, maskenbefreit.
SWR-Dreharbeiten im Hause. Quelle: privat
Gestern Abend nun verständigte mich die zuständige
SWR-Wahlkampfkoordinatorin, dass ich ohne Maske ab sofort auch bei keiner
SWR-Übertragung mehr dabei sein dürfe. Das beträfe die Kandidatenrunde heute
Abend in der Wagenhalle ebenso wie die Spitzenrunde am Wahlabend im Landtag. Sie
begründete das mit einer internen Regelung, da viele Mitarbeiter „Ängste“
hätten. Ich kündigte ihr an, dass ich dieses faktische Berufsausübungsverbot
nicht unkommentiert lassen werde. Nur illustrativ: bei der ZDF-MoMa-Übertragung
diese Woche war ich selbstverständlich maskenlos dabei.
Sehr geehrter Herr Gniffke,
dieser Vorgang ist eine Bankrotterklärung jedweder
Demokratie.
Zum ersten werde ich von der Presse – namentlich einem
öffentlich-rechtlichen Sender – an der Wahrnehmung meiner beruflichen Aufgaben
als Pressesprecher gehindert. Das wird Ihnen – Stichwort Medienkritik im
Allgemeinen, ÖR-Kritik im Speziellen und SWR-Kritik im Besondern -, bei einer
bestimmten Klientel, um es dezent zu formulieren, keinerlei Sympathiepunkte bringen.
Zum zweiten wäre ein solcher Vorgang zwar auf
privatrechtlicher Ebene juristisch legitim (ob moralisch, sei dahingestellt) –
wer als Einzelhändler trotz medizinischer Bedenken eine Maskenpflicht zur
Zugangsvoraussetzung zu seinem Ladengeschäft macht, kann das tun – keinesfalls
aber auf öffentlicher Ebene: Da ist er schlicht herabsetzend, demütigend, ja
diskriminierend.
Zum dritten aber – und das ist der primäre Punkt – zeigt
diese Diskriminierung, wohin sich unsere Gesellschaft bewegt: Nämlich zu einer
der „Dazugehörenden“ und der anderen. Die einen lassen sich „freitesten“, die
anderen nicht. Verweigern Eltern diese Testpflicht und werden ihre Kinder von
der Schule vom Unterricht ausgeschlossen – hindert dann auch die Schule die
Kinder daran, dass sie ihre Schulpflicht erfüllen wollen?
Die einen lassen sich impfen, die anderen nicht. Hindern
dann diverse Institutionen, Behörden… etc. ihre ungeimpften
Mitarbeiter/Besucher daran, ihre gesetzlich verbrieften (Grund-)rechte
wahrzunehmen? Inwieweit kann für eine kaum erforschte Krankheit ein überstürzt
zugelassener Impfstoff verpflichtend gemacht und aus dieser Verpflichtung eine
Teilhabemöglichkeit oder –unmöglichkeit abgeleitet werden?
Wir haben es hier mit mehrfachen Paradigmenwechseln zu tun,
die jedem Demokraten die Haare zu Berge stehen lassen müssen – einerseits ob
der damit verbundenen Grundrechtsverletzungen, andererseits ob der damit
verbundenen Alltagseinschränkungen. Galt bis 2020 der Grundsatz, dass die
Bevölkerung per se gesund ist, gilt nun der Generalverdacht, dass die Bürger
potentielle Virenüberträger, ja „symptomlos Infizierte“ und also krank sind. Auf
der Ebene Ihres Senders wird im Kleinen reproduziert, was uns der Staat seit
Monaten im Großen zumutet: durch die Krankheitshysterie weniger werden nicht
viele, sondern gleich alle in Geiselhaft genommen. Wer meint, dass ich ihm
gefährlich werden könne, kann in meiner Gegenwart gern ebenso achtsam sein wie
ich auch.
Galt bis 2020 der Grundsatz, dass sich der Mensch Strukturen schafft, um darin (besser) zu leben, gilt nun der Grundsatz, dass sich der Mensch den Strukturen unterzuordnen habe, um deren Funktionalität nicht zu gefährden. Strukturen, die überdies selbstverschuldet kaputtgespart wurden: Allein Kretschmanns zwei Regierungen schlossen 30 Krankenhäuser. Dabei wird von der absurden Gleichsetzung ausgegangen, dass positiv getestet gleich infiziert und infiziert gleich krank und krank gleich potentieller Beatmungspatient bzw. potentieller Toter heißt.
Dreh im SWR, den ich nur vom Parkplatz verfolgen konnte. Screenshot: eigene Darstellung
Und galt bis 2020 der Grundsatz, dass die Regierung
Eingriffe in bürgerliche Freiheits- und parlamentarische Standesrechte (wie das
Haushaltsrecht) rechtfertigen muss, gilt nun der Grundsatz, dass dem Bürger Grundrechte
wie Almosen wieder ausgehändigt werden, wenn die Regierung es aufgrund astrologischer
Kennziffern wie etwa „Inzidenzwerten“ oder, siehe oben, sozialer Zwangsmaßnahmen
wieder erlaubt. Grundrechte aber sind nicht verhandelbar, Punkt!
Wir als Rechtsstaatspartei fordern seit Monaten, den
Menschen ihre Selbstverantwortung, erst recht ihre Grundrechte zurückzugeben.
Wenn im Winter die Straßenverhältnisse durch Eis und Schnee beeinträchtigt sind
und Gefahren bergen, erlassen wir doch auch keine Fahrverbote, sondern klären
über die Gefahrenlage auf und bitten die Bürger, ihre Fahrweise an gefährliche
Gegebenheiten wie Straßenglätte anzupassen. Genau das erwarten wir nicht nur
von der Landesregierung, sondern auch von allen öffentlichen Institutionen,
eben auch dem SWR.
Vulnerable Gruppen – hat der SWR eigentlich so viele vorerkrankte/gefährdete
Mitarbeiter? – werden nicht dadurch geschützt, dass andere Gruppen
diskriminiert werden – von der Wirkung oder Nicht-Wirkung diverser Maskentypen
ganz zu schweigen. Wenn ich an/in den Bahnhöfen, Bussen und Bahnen ständig zum
Maskentragen aufgefordert werde, frage ich mich, wie sehr eine Regierung ihren
Maßnahmen misstrauen muss, wenn sie die Bürger damit derart penetriert. Und
wenn sich Stefanie, Jessica oder Sebastian „aus der S-Bahn-Leitstelle“ bei uns
Fahrgästen täglich fürs „Mitmachen“ bedanken, frage ich mich, ob es sich um
eine dringend gebotene medizinische Schutzmaßnahme, ein neues
Gesellschaftsspiel oder einfach nur um einen gigantischen IQ-Test handelt.
Sehr geehrter Herr Gniffke,
anstatt all diesen Sachverhalten in Ihrer Berichterstattung
genügend Raum zu geben und verschiedene Perspektiven wissenschaftlich objektiv
und vorurteilsfrei zuzulassen, folgen Sie nur einer: der Regierungsperspektive.
Und nicht genug damit: Sie schwelgen nicht nur redaktionell in ihr, sondern
folgen ihr auch in Ihrem Anstaltsalltag. Damit behindern Sie nicht nur einen
Repräsentanten der bislang wählerstärksten Opposition, sondern grenzen ihn auch
aus. Laut SWR-Staatsvertrag vom 30. Juni 2015 sollen Sie aber genau das nicht
tun, sondern „den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern“.
Ich erwarte umgehend, dass Sie Ihre Haltung und die Ihres Senders reflektieren
und revidieren.
Der Königlich-Preußische Hofkoch Louis Ferdinand Jungius widmete ihm in seinem Kochbuch 1839 ein
dreischichtiges Sahneeis: Eine Kombination von Schokoladen- und Erdbeer- oder
Himbeer- mit Vanilleeis, die aufgrund ihres hohen Sahnegehalts nicht
vollständig gefriert – das Halbgefrorene war geboren. 15 Jahre später hat
Heinrich Heine das Vorwort zum zweiten Band seines Werkes Vermischte Schriften – Lutezia betitelt: „Zueignungsbrief an Seine
Durchlaucht den Fürsten“. Und erst seit 19 Jahren trägt der Asteroid 39571 ebenfalls
seinen Namen: Hermann Ludwig Heinrich Graf von, später Fürst von
Pückler-Muskau, der am 4. Februar 1871 starb.
Er war das erste von fünf Kindern des Grafen Ludwig Carl
Hans Erdmann von Pückler; drei Schwestern und ein sehr früh verstorbener Bruder
folgten. Bei seiner Geburt am 30. Oktober 1785 auf Schloss Muskau war seine
Mutter Gräfin Clementine von Callenberg erst 15 Jahre alt. Das hatte Folgen:
einerseits behandelte ihn die ungefestigt-jugendliche Frau wie ein Spielzeug,
„ohne selbst zu wissen, warum sie mich bald schlug, bald liebkoste“, wie er
viel später in einem Brief an den Vater schrieb. Zu dieser lebenslangen Suche
nach der Mutter – seine Frau, die geschiedene Tochter des preußischen
Staatskanzlers Karl August von Hardenberg, sollte dann neun Jahre älter sein –
gesellte sich eine sexuelle Präferenz für minderjährige Partnerinnen.
Einer streng pietistische Erziehung unter anderem bei den Herrnhutern und dem Philanthropinum in Dessau, die seine spätere Abneigung gegen den Protestantismus und seine entschiedene Hinwendung zum Pantheismus begründete, schloss sich ein Studium der Rechte an der Universität Leipzig an. Das brach Pückler jedoch frühzeitig ab und begann eine militärische Laufbahn. Als Oberstleutnant und Generaladjutant des Großherzogs Karl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach nahm er an der Völkerschlacht bei Leipzig teil, fungierte in den folgenden Feldzügen gegen Napoleon als Verbindungsoffizier zum russischen Zaren Alexander I. und wurde danach kurzzeitig als Militärgouverneur von Brügge eingesetzt.
Pückler. Quelle: Von Moritz Michael Daffinger (1790–1849) – artsalesindex.artinfo.com/, Bild-PD-alt, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=8020064
Da er nach dem Tode des Vaters die Verwaltung Muskaus seinem
Freund Leopold Schefer übergeben hatte, fand er daneben Zeit für ausgedehnte
Reisen – oft zu Fuß – in die Provence, nach Italien und 1812 zusammen mit
Schefer das erste Mal nach England – und entdeckte seine Berufung als
Landschaftsgestalter. Nach dem Wiener Kongress 1815 fiel Pücklers Teil der
Lausitz von Sachsen an Preußen, womit er nach Schätzungen von Historikern einer
der fünfzehn größten Landbesitzer im Königreich wurde. Ironie der Geschichte: Heute
liegen zwei Drittel des Muskauer Parks in Polen. Und zur Gestaltung dieses
Parks rief er im selben Jahr, unterstützt durch die PR-Aktion eines
Ballonflugs, die Bürger von Muskau auf. Er erwarb weitere Grundstücke zur
Schaffung eines geschlossenen Parkareals, ließ das Dorf Köbeln umsiedeln und
legte los.
Hyazinth-Ara als
Geschenk
So ließ er riesige Mengen Mutterboden aus weiter entfernten
Gegenden auf Ochsenkarren heranschaffen, da der sandige Untergrund für den
geplanten Bewuchs ungeeignet war. Darüber hinaus gelang es ihm erstmals,
ausgewachsene Bäume zu verpflanzen, und konnte sein berühmt gewordenes Konzept
der „Blickachsen“ schon bei der Anlage der Parks zu verwirklichen. Außerdem
beschloss er den freien Zugang für seine Landschaftsgärten und weitete diesen
auf jedermann aus. Neben Muskau und dem Park seines Sterbeorts Branitz sind mit
seinem Namen in Deutschland verbunden: der „Pücklerschlag“ im Park Ettersberg
bei Weimar, die Herzoglich Sachsen-Meiningische Sommerresidenz Altenstein, der
Park Babelsberg in Potsdam sowie der Park von Schloss Wilhelmsthal bei
Eisenach.
1817 heiratete er Lucie von Hardenberg, wurde 1822 in den Fürstenstand erhoben und ließ sich 1826 wieder scheiden, blieb aber dessen ungeachtet lebenslang freundschaftlich mit Lucie verbunden – der Luciesee im Muskauer Park ist nach ihr benannt. Da er inzwischen verschuldet war, wollte er wiederum nach England reisen, um erneut reich zu heiraten. Zwischen 1825 und 1829 fand er zwar keine Braut, dafür mit seinen Reiseberichten literarischen und finanziellen Erfolg in Deutschland, in England und den USA. Der Fürst beschloss deshalb nach Nordamerika zu reisen, doch wegen eines Duells verpasste er die Schiffsabfahrt.
Lucie. Quelle: Von O. Schubert – Pückler-Museum, Christian Friedrich, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44512894
Stattdessen unternahm er eine Reise über Algier nach Ägypten, wo er von Muhammad Ali Pascha als Staatsgast empfangen wurde und für seinen Aufenthalt einen Palast mit Personal erhielt. 1837 kaufte er sich in Kairo auf dem Sklavenmarkt die etwa 12-jährige Machbuba, die ihn auf der weiteren Reise begleitete. Er gelangte über die Nilkatarakte bis in den Sudan, wo er seinen Namen an den Pyramiden von Meroe eingravieren ließ, und trat 1838 entkräftet den Rückweg an. Machbuba lebte nur noch zwei Jahre als seine Mätresse in Muskau und wurde im Schloss begraben. Pückler bereiste außerdem den Nahen Osten, Konstantinopel, wo er erfolglos versuchte, preußischer Botschafter zu werden, und Griechenland. Einmal brachte er einen blauen Hyazinth-Ara mit, den er Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, der späteren Kaiserin, schenkte und der zur großen Bestürzung der Beschenkten nach wenigen Jahren in den zugigen preußischen Schlössern verstarb – ein Ereignis, welches die Prinzessin in einem tränenreichen Brief dem, wie sie ihn nannte, „Gartenzauberer“ schilderte.
Machbuba. Quelle: Von Clemensfranz – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=72782665
1845 verkaufte er Muskau und zog sich auf sein Erbschloss
Branitz zurück, wo er, stark von Gottfried Semper beeinflusst, sich ebenfalls
mit Hingabe der Parkgestaltung widmete. Sein pantheistischer Liberalismus im
Sinne der preußischen Reformer um den Freiherrn vom Stein und sein
extravaganter Lebensstil machten ihn im reaktionären Preußen der
Biedermeier-Ära suspekt. Andererseits beteiligte sich Pückler im Sinne der
offiziellen deutschnationalen Linie aktiv an der Germanisierung seiner
überwiegend sorbischen Untertanen und vernachlässigte die Volksbildung in
seiner Herrschaft. Dem Militär blieb er weiterhin à la suite verbunden und
wurde 1863 zum Generalleutnant ernannt. Als solcher gehörte er 1866 zum
Hauptquartier des preußischen Königs im Deutsch-Österreichischen Krieg, wo der
zu diesem Zeitpunkt 80-jährige die Schlacht bei Königgrätz verschlief und
trotzdem für seine Teilnahme ausgezeichnet wurde.
staatenübergreifende
Welterbestätte
Im hohen Alter zum Katholizismus konvertiert, widmete er sich bis zu seinem Tod der Schriftstellerei und war der erste deutsche Autor, der Papier für Durchschläge benutzte. Da eine Einäscherung Verstorbener damals aus religiösen Gründen verboten war, griff er zu einer provokanten List und verfügte, dass sein Herz in Schwefelsäure aufzulösen sei und der Körper in Ätznatron, Ätzkali und Ätzkalk gebettet werden solle. So wurde er am 9. Februar 1871 in einer Seepyramide im Parksee des Branitzer Schlossparks beigesetzt. Da er kinderlos war, fielen Schloss und Park nach seinem Tod an seinen Neffen Heinrich von Pückler, Barvermögen und Inventar an seine Nichte und sein literarischer Nachlass an die Schriftstellerin Ludmilla Assing mit der Auflage, die Biographie des Autors zu schreiben und seine ungedruckten Briefwechsel und Tagebücher zu veröffentlichen.
Muskauer Park. Quelle: Von Kora27 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40107813
Das Bürgertum
erhielt dadurch, dass er als Adeliger Zugang zu den führenden Häusern Europas
hatte und seine Leser an diesen Erfahrungen teilhaben ließ, Einblick in die vor
ihnen abgeschirmten Milieus des Adels, von dem er sich als Dandy abhob. Von
einem „scharfäugigen Zugriff auf sprechende Situationen“ sprechen
Kritiker. Dazu kommen uneinschüchterbare Scharfzüngigkeit zumal auch seinem
eignen Stand gegenüber, fehlende Prüderie und unangestrengte Ironie. Pückler hatte er einen ausgedehnten Freundes- und
Bekanntenkreis unter Künstlern und Schriftstellern und war darüber hinaus mit
zahlreichen exotischen Ländern vertraut, die er genau, anzüglich und spöttisch
zu schildern wusste.
Von 1930 bis 1945 bestand in Muskau die Fürst-Pückler-Gesellschaft, sie wurde 1979 in Berlin erneut gegründet. Als Fürst-Pückler-Region haben sich Kommunen und öffentlichen Institutionen in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg in der Grenzregion zu Polen zusammengeschlossen, um die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit und den Kulturtourismus zu fördern. Seit 2004 ist der Muskauer Park das einzige ostsächsische Welterbe und eine der wenigen staatenübergreifenden Welterbestätten. 2017 würdigte die Stiftung Preussische Schlösser und Gärten den „grünen Fürsten“ mit einer umfassenden Sonderschau in Schloss und Park Babelsberg.
Natürlich gibt es eine Anekdote, wie er seine bekannteste
Trickfilmfigur schuf, und die geht so: 1956 bekam er das Drehbuch zu einer
Geschichte über die Flachsverarbeitung für Kinder, das ihm nicht gefiel.
Zugleich war er stark von Disney-Filmen beeinflusst: „Niemand konnte Gefühle
besser in Gesten und Bilder übersetzen. Und dabei noch lustige Geschichten
erzählen. Von ihm habe ich viel gelernt“, sagte er der Süddeutschen Zeitung SüZ. Also suchte er nach einem Tier, das die
Leitfigur übernehmen könnte – und stolperte beim Silvesterspaziergang über
einen Maulwurfshügel. „Ich wollte eine neue Figur erschaffen, die noch kein
anderer gezeichnet hatte“, erinnert er sich. „Natürlich musste ich der Natur
noch ein wenig nachhelfen, damit aus einem blinden, grauen Maulwurf eine Figur
wird, die Kinder mögen.“ Er habe sie ständig geändert: „Erst hatte er ein
Schwänzchen – das habe ich später weggenommen. Dann habe ich die lange
Schnauze, die ihn sehr alt gemacht hat, einfach verkürzt. Erst dadurch ist er
ein junger, netter Bursche geworden.“
Heraus kam ein charmanter, fröhlicher, schwarzer Geselle mit roter Nase, Kulleraugen, großen Händen und genau drei Haaren namens „Krtek“ oder „Krteček“ (tschech. „Maulwürfchen“), der anfangs noch sprach, später, damit er überall auf der Welt verstanden werden konnte, nur noch seine Emotionen in kurzen Ausrufen ausdrückte. Die lieferten seine beiden Töchter, die die Filme auch zuerst zu sehen bekamen. So konnte ihr Schöpfer prüfen, ob seine Geschichten die Kinder auch begeisterten. „Wenn ich ihnen im Aufnahmestudio sagte: ‚Lacht jetzt!‘, dann haben sie gelacht. Und wie! Das kam immer von Herzen.“ Anders dagegen, als sie weinen mussten: „Da hab ich sie geschimpft.“ Das unnachahmlich-resignierte „Och jo“ vergisst man nie. Die erste, die Flachsgeschichte „Wie der Maulwurf zu seinen Hosen kam“ gewann 1957 auf Anhieb den Silbernen Löwen in Venedig.
Der Meister und sein Krtek. Quelle: https://cdn.prod.www.spiegel.de/images/4d75445e-0001-0004-0000-000000289201_w948_r1.77_fpx65.86_fpy48.97.jpg
Bis 2002 entstanden 63 Maulwurfsfilme, die in über 80
Ländern zu sehen sind. Im Fernsehen der DDR lief er, wie im
tschechoslowakischen Fernsehen, in der Sendung Unser Sandmännchen. In der Bundesrepublik wurde die Serie erstmals
ab dem Januar 1968 durch Das Erste
ausgestrahlt. Später folgten Wiederholungen durch KiKA, WDR, ORF 1 und SRF 1. Der Trickfilmer illustrierte auch 40 Kinderbücher, die sich
mehr als fünf Millionen Mal verkauften. Befragt, wie viel von ihm im Maulwurf
steckt, antwortete er „100 Prozent… Ich brauchte lange, es zu begreifen, aber
wenn ich den Maulwurf zeichne, dann zeichne ich mich selbst.“ Dieser Zeichner
heißt Zdeněk Miler und wurde am 21. Februar vor 100 Jahren im böhmischen Kladno
geboren.
„Meine Filme brachten
gutes Geld“
Zeichnen war von Anbeginn seine Leidenschaft. Seine Großmutter,
die mit im Elternhaus unter dem Dach wohnte, „mit Pendeluhr und Bollerofen“,
habe ihn stark beeinflusst: „Bei ihr kam ich mir vor wie im Märchen. Sie hat
mich immer auf den Schoss genommen und Geschichten erzählt. Eines Tages sagte
sie: Heute schauen wir uns mal die Wolken an. Eine sah aus wie ein Haus. Die
nächste wie ein Tier. Sie hat mir das Fenster zur Phantasie geöffnet“. Ein
Lehrer in der Oberschule riet ihm zur Bewerbung an der staatlichen
Graphikschule in Prag. „Aber ich besaß nicht mal einen Bleistift! Also gab er
mir eine Krone, damit ich mir im Schreibwarengeschäft einen kaufen konnte. Dann
bat ich meine Großmutter, mir Modell zu sitzen. Da saß sie dann drei Stunden
und hat sich nicht gerührt.“
Er wurde 1936 angenommen und studierte anschließend von 1939 bis 1942 Photographie an der Kunstgewerbeschule ebenfalls in Prag. Nach der Besetzung durch Deutschland protestierte er gegen die Schließung der Hochschulen: „Einige Studenten sind hingerichtet oder nach Auschwitz deportiert worden. Ich hatte Glück, dass sie mich nicht verhafteten. Als die Nazis in unser Studentenheim kamen, war ich gerade nicht da.“ Ihm wurde 1942 eine Stelle als Zeichner im Zeichentrickstudio des Baťa-Konzerns im mährischen Zlín angeboten, wo er sein Handwerk von der Pike auf lernte und sich auf Animationsfilme spezialisierte. Das Studio wurde dann von den Deutschen übernommen: „Wir mussten fortan Märchenfilme für Deutschland produzieren, ‚Fritz und Fratz‘ zum Beispiel. Der deutsche Direktor war ein guter Mensch. Er befand, ich wäre unabkömmlich im Studio. Er und ‚Fritz und Fratz‘ haben mir vielleicht das Leben gerettet.“
Fritz und Fratz-Episode. Quelle: https://film-assets.ushmm.org/fvthumbs/FV2683_RG604355.01.01.jpg
Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte er zur Prager
Zeichentrickfirma Bratři v triku und arbeitete zunächst als Zeichner
tschechischer Märchen, Regisseur und Autor. Später wurde er Direktor der Firma und
zeichnete ab 1957 die Filme mit dem kleinen Maulwurf, die ihn international
bekannt machten. „Ich bin natürlich in die kommunistische Partei eingetreten.
Damals herrschte noch ein großer Idealismus unter uns jungen Leuten. Aber das
ging nicht lange gut. Irgendwann haben sie mich aus der Partei geworfen, und
ich war froh, dass ich draußen war. Gott sei Dank war ich mittlerweile fast
unantastbar geworden, weil der Maulwurf international immer erfolgreicher
wurde. Meine Filme brachten gutes Geld ins Land“, befand er in der SüZ. Eine große Rolle kam dabei dem WDR zu, der seit 1972 Filme für die „Sendung
mit der Maus“ bestellte; „Pauli“ hieß hier manchmal die Figur. „Aus diesem
Grund durfte ich auch hin und wieder nach Köln reisen. Es fuhr natürlich immer
ein Genosse mit, um mich zu bewachen.“
Um die Hauptfigur wuchs eine ganze Familie von Freunden wie
der Hase, der Igel und die Maus, die in viele gemeinsame Abenteuer schlitterten
und sich gegenseitig halfen. Zoff à la „Tom und Jerry“ hatte in Milers Streifen
keinen Platz. In den Filmen wird dem Leben in der Natur auch die Umwelt in der
Stadt gegenübergestellt sowie dem naiv-kindlichen Leben der Tiere der Alltag
der Menschen. „Ich glaube, Kinder lieben den Maulwurf, weil er eine Frohnatur
ist, die nichts umwerfen kann. Er steht für die Freundschaft und die Liebe zur
Natur. Er steht dem Leben positiv gegenüber, schaut immer nach vorne.
Zuversicht und Vertrauen sind ein guter Leitfaden fürs Leben“, sagte er später.
Die Geschichten stammten mal von Miler selbst, mal von bekannten
Schriftstellern wie dem Kafka-Preisträger Ivan Klima („Liebe und Müll“), der
zwischen 1969 und 1989 nur im Ausland publizieren durfte. Die Musik wurde von
Miloš Vacek, ab 1974 von Vadim Petrov komponiert. Von seinem Verdienst leistete
sich Miler ein kleines Häuschen in einem Prager Villenviertel.
„Es ist genug“
Zuletzt entstand 2002 ein Zeichentrickfilm in Spielfilmlänge, der eine Zusammenstellung aus den ersten zwölf Folgen des kleinen Maulwurfs ist. Dass es keine Gefährtin für Krtek gab, begründete Miler mit dem Alter seines Publikums: „Das hätte die Geschichten nur verkompliziert. Kinder wollen es nicht kompliziert.“ Nach 74 Jahren hauptberuflichen Zeichnens legte er den Stift aus der Hand. „Es ist genug. Meine älteste Tochter macht vielleicht weiter. Sie hat schon ein Maulwurf-Buch veröffentlicht, nach meinen Vorlagen. Letztens waren Japaner hier und haben mir viel Geld geboten, wenn sie eine Geschichte mit meinem Maulwurf machen dürften, womöglich computeranimiert. Ich habe abgelehnt.“ Angesichts millionenschwerer Hochglanzanimationen von „Ice Age“ bis „Findet Nemo“ wirken seine handgemalten zweidimensionalen Figuren zumeist in den kontrastreichen Grundfarben wie liebenswerte Relikte einer guten alten Zeit, die nostalgische Sehnsüchte bedient.
Episode als Buch. Quelle: https://images.booklooker.de/x/018hB4/Zdenek-Miler+Der-Maulwurf-und-die-Rakete.jpg
Am 28. Oktober 2006 wurde Miler vom Staatspräsidenten Václav Klaus die tschechische Verdienstmedaille als Ehrung für sein Lebenswerk verliehen. Er wird mit den Worten zitiert, dass ihm die Feinfühligkeit eines kleinen Maulwurfs bei weitem näher sei als die Schroffheit einer Familie Simpson. Einer seiner größten Fans war der amerikanische Astronaut Andrew Feustel, dessen Frau tschechische Vorfahren hat. Er überreichte Miler 2011 eine Plüschfigur des kleinen Maulwurfs, mit der er im Mai an Bord der Raumfähre Endeavour ins Weltall geflogen war. Der sichtlich erfreute Erfinder, übrigens ein großer Verehrer von Rene Magritte, bedankte sich mit einer gerahmten Zeichnung. „Das hätte ich mir nie vorstellen können“, sagte er. Auf der Internationalen Raumstation sei der Maulwurf die meiste Zeit umhergeschwebt, beschrieb Feustel den Flug mit der Plüschfigur. „Auf dem Rücken hatte er aber auch einen Klettverschluss, damit die Astronauten ihn, wenn nötig, an der Wand befestigen konnten“, sagte der Geophysiker, der zweimal im All war – übrigens 46 Jahre nach der Episode „Der Maulwurf und die Rakete“, in der ihn sein Schöpfer bereits einmal ins All geschickt hatte.
Feustel bei Miler – mit Weltraummaulwurf. Quelle: https://media0.faz.net/ppmedia/aktuell/1867354767/1.1547488/width610x580/der-amerikanische-astronaut.jpg
„Ich wollte immer Bücher und Filme für Kinder machen, dabei wusste ich erst gar nicht, wie das geht. Man muss ja jede Geschichte auf die denkbar einfachste Art erzählen. Wie der Maulwurf ankam, habe ich anfangs gar nicht wahrgenommen. Erst als ich dann im Kino miterlebt habe, wie die Kinder lachen, wie sie mitgehen, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin“, sagte er rückblickend. Die letzten Jahre lebte Miler in einem Seniorenwohnheim nahe Dobříš und starb dort am 30. November 2011. „Mit Zdenek Miler verlieren wir nicht nur den Vater des kleinen Maulwurfs, sondern auch einen ganz Großen des Europäischen Trickfilms und einen überaus warmherzigen Menschen“, teilte Monika Piel mit, die damalige WDR-Intendantin. „Seine Geschichten berühren uns heute wie damals gleichermaßen. Viele Erwachsene von heute verbinden mit ihm ein Stück Kindheit.“ Eine Kindheit, die unverlierbar ist.
19 Ja-Stimmen bei 2 Enthaltungen – mit diesem Ergebnis hatte
sich vor zwei Jahren die aus Schülern, Lehrern und Eltern bestehende
Schulkonferenz des Wuppertaler Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums dafür ausgesprochen,
seine Statue der griechischen Göttin Pallas Athene nicht mehr vor der Schule behalten
zu wollen. Kein Wunder, ist das Gymnasium doch Bestandteil des Netzwerks
„Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage“. Allerdings stehen sowohl die
Skulptur von 1957 als auch ihr Sockel seit 1997 unter Denkmalschutz: Nicht nur
darum hatte die nichtöffentlich tagende städtische „Kommission für eine Kultur
des Erinnerns“ einstimmig gegen eine Entfernung des Werkes votiert.
Bei einer Podiumsdiskussion Mitte Dezember 2019 lautete also
die Frage: „Darf eine Skulptur eines von den Nationalsozialisten gefeierten
Künstlers weiter im öffentlichen Raum stehen, zumal vor einer Schule, oder
sollte sie entfernt werden?“ Die parteilose Kultusministerin Isabel
Pfeiffer-Poensgen platzte mit ihrer Empfindung heraus, wie hässlich diese
Skulptur sei. Lehrer und Schüler argumentierten, sie passe schlicht nicht mehr
zum neu gestalteten baulichen Ensemble: „Da wirkt diese kriegerische Figur
einfach fehl am Platz.“ Sie hat nämlich einen Helm auf dem Kopf und einen Speer
in der Hand, der sogar nach unten zielt, also auf diejenigen, die auf sie
zugehen. Laut Schulleiterin Claudia Schweizer-Motte seit es für die Schüler und
Lehrer schwierig, täglich am Werk eines NS-Künstlers vorbeigehen zu müssen.
Felix Krämer, Generaldirektor des Museums Kunstpalast in Düsseldorf, berichtet auf dem Podium, dass es interessanterweise kaum andere Athenen gebe, die in dieser kriegerischen Funktion gezeigt werden. Eine habe er aber doch ausfindig machen können, dabei handle es sich bezeichnenderweise um ein faschistisches Denkmal aus dem Jahr 1932 in Italien. Kein Wunder, ist sie doch unter anderem die Göttin des Kampfes, auch der Kriegstaktik und der Strategie; sie fungierte als Palast- und Schutzgöttin der mykenischen Herrscher sowie des Odysseus und führte Perseus bei der Enthauptung der Medusa. Einige Schüler betonten, sie sähen in der Skulptur kein heroisches, sondern vielmehr ein humanistisches Menschenbild verkörpert, sie fühlten sich eher beschützt als bedroht.
Arno Breker. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Arno_Breker#/media/Datei:Arno_Breker_Atelier_Duesseldorf_(1972).jpg
Brigitte Franzen, Vorstand der
Peter-und-Irene-Ludwig-Stiftung, machte nun drei Vorschläge, wie man mit der
Plastik umgehen sollte: sie mittels einer Tafel kommentieren bzw. die bereits
bestehende Tafel aktualisieren, die Skulptur ins Museum bringen und dort
kommentieren, oder, als letzte Möglichkeit, sie um einen künstlerischen
Kommentar ergänzen. Dieser Vorschlag setzte sich schließlich durch. Wer der
neue Künstler sein wird, ist noch offen. Jener der Athene dagegen, den der
Mitbegründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, Ernst Fuchs, einst
als „wahren Prophet des Schönen“ bezeichnete, ist weltbekannt: Arno Breker. Vor
30 Jahren, am 13. Februar 1991, starb er in Düsseldorf.
„Vorbereitung auf die
monumentale Arbeit“
Seine Berufung war ihm durchaus in die Wege gelegt: Vater
des am 19. Juli 1900 in Elberfeld geborenen ältesten Kindes der Familie war der
Steinmetz und Grabmalkünstler Arnold Breker. Nach vier Jahren
Steinbildhauerlehre und dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Elberfeld begann
er 1920 ein fünfjähriges Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Kurz vor Ende
desselben reiste er erstmals nach Paris, wo er nach einer Nordafrikareise 1927,
von der er seine erste Lebensgefährtin, die Griechin Demetra Messala („Mimina“)
mitbringt, seinen Wohnsitz nimmt. Er freundet sich mit vielen Künstlern an,
darunter Picasso, Jean Cocteau und Man Ray, und entwickelt ein Gussverfahren
der „reinen Form“ ohne Oberflächenunebenheiten, das für die idealisierende
Typisierung des Schaffens im Nationalsozialismus stilprägend wird.
Die Verbindung nach Deutschland riss jedoch nicht ab, etwa durch Aufträge für eine Großplastik für die Matthäikirche in Düsseldorf und für das Denkmal Röntgens in Remscheid; zudem hatte er Ausstellungen. 1932 erhielt er den Rom-Preis der Preußischen Akademie der Künste nebst einem Stipendium bis Mai 1933 in der „Villa Massimo“. Seine Zeit in Rom sah Breker selbst als „Vorbereitung auf die monumentale Arbeit großen Ausmaßes, die mich erwartete“. Es folgten weitere italienische Studienaufenthalte in Florenz und Neapel, die seine sogenannte „klassische Periode“ zur Zeit des Nationalsozialismus beeinflussen sollten.
Der Sieger. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arno_Breker_Der_Sieger_(1939).jpg
1934 übersiedelte er nach Berlin, nimmt 1935 an der
Ausstellung der „Berliner Secession“ teil und 1936 an der Olympischen
Kunstausstellung, wo er beim Plastik-Wettbewerb die Silbermedaille des
Internationalen Olympischen Komitees für die Statuen „Zehnkämpfer“ und „Die
Siegerin“ erhält. Zuvor als „dekadenter Franzose“ kritisiert, der vor allem
Porträtaufträge von Industriellen, Militärs oder auch Künstlerkollegen ausführte,
erlangt er so höchste offizielle Aufmerksamkeit und darf für die Weltausstellung
in Paris Skulpturen für den Deutschen Pavillon fertigen. Mit der Staatsdoktrin
der stilistischen Orientierung an der Antike, an die sich Breker anlehnt,
schienen den Nationalsozialisten in Brekers Figuren die ästhetischen Ideale des
„gesunden, arischen Menschentyps“ verwirklicht, ja als „gestaltete Gesinnung,
formgewordene Weltanschauung“, als richtungweisend für den „neuen deutschen
Stil“ proklamiert.
Rückblickend bezeichnete Breker selbst das Jahr 1936 als
„Wendepunkt“ seiner Existenz. In der Folgezeit wurde er von der NS-Propaganda
vereinnahmt, zum „bedeutendsten deutschen Bildhauer der Gegenwart“, gar zum
Vorkämpfer der nationalsozialistischen Revolution stilisiert, schienen seine
monumentalen Figuren doch hervorragend geeignet, den Kampf des „Neuen Reiches“
gegen die „Verfallserscheinungen“ in Kunst und Gesellschaft insgesamt visuell
fassbar zu machen. 1937 trat er der NSDAP bei, heiratete Demetra, wird
Professor einer Bildhauerklasse an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin
und erhält bis 1944 in Zusammenarbeit mit Albert Speer zahlreiche
Staatsaufträge. Auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers, mit dem er auch in
persönlichem Kontakt steht, wird er für den Ausbau Berlins als geplante
Welthauptstadt „Germania“ tätig. Hierfür wird ihm ein eigenes Großraumatelier
in Berlin-Dahlem errichtet, das heute das „Kunsthaus Dahlem“ beherbergt.
Die Hoheitszeichen am Berliner Finanzministerium,
Steinreliefs am Gebäude der Nordstern-Lebensversicherung in Berlin-Schöneberg, der
figürliche Schmuck am Hauptportal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt
Berlin-Adlershof und die Plastik „Der Flieger“ für das Hauptgebäude der
Dresdner Luftkriegsschule entstanden, später die Monumentalfiguren „Partei“ und
„Wehrmacht“ für den Ehrenhof der Neuen Reichskanzlei sowie viele Figuren und
Reliefs für „Germania“. 1939 schlägt er ein Arbeitsangebot Stalins aus. 1940
erhielt Breker als erster bildender Künstler den Mussolini-Preis der Biennale
in Venedig, ein Jahr später wurde er Vizepräsident der Reichskulturkammer der
Bildenden Künste. Zu seinem 40. Geburtstag schenkte ihm Hitler das ehemalige
Rittergut Jäckelsbruch in Eichwerder bei Wriezen in „dankbarer Anerkennung
seiner schöpferischen Arbeit im Dienste der deutschen Kunst“.
„Harte Zeit, starke
Kunst“
Hier wurden Mitte 1941 die „Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH“ mit Gleisanschluss und Kanalhafen gegründet – eine Einrichtung des Generalbauinspektors, die es Speer ermöglichte, Aufträge jedweder Größenordnung ohne Genehmigungsverfahren direkt an Breker zu vergeben. In den Werkstätten entstanden Bildhauerarbeiten für die Neugestaltung Berlins und für das Parteitagsgelände in Nürnberg. Gegen Ende des Krieges wurden bis zu 50 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter für Arbeiten an den Figuren eingesetzt, etwa bei der Vervielfältigung der „Hitler-Büste“ von 1941. Daneben hatte er viele Ausstellungen, darunter auch im Vichy-Paris, und wurde 1944 an der Preußische Akademie der Künste Vorsteher eines Meisterateliers, Mitglied des Akademiesenats und von Hitler selbst in die Sonderliste der Gottbegnadeten-Liste mit den „unersetzlichen Künstlern“ aufgenommen, was für ihn die Freistellung vom Kriegsdienst bedeutete. Zugleich drehte die Riefenstahl-Film GmbH den Dokumentarfilm „Arno Breker – Harte Zeit, starke Kunst“.
Breker mit Meyfarth. Quelle: https://www.meaus.com/109-breker-and-meyfarth.JPEG
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs, dem rund 90 Prozent seines
Werks zum Opfer fielen, zieht Breker ins bayrische Wemding. 1948 wird er trotz
seiner privilegierten Stellung bei der „Entnazifizierung“ als „Mitläufer“
eingestuft, da er sich mehrmals und nachweislich für Verfolgte des Regimes wie
Pablo Picasso eingesetzt hat, den er vor dem KZ bewahrte. Peter Suhrkamp
verdankt ihm gar sein Leben, da er unter dem dringenden Verdacht des
Widerstandes gegen Adolf Hitler inhaftiert worden war. Breker hatte Suhrkamp im
Gefängnis besucht und sich bei Albert Speer und Hitler erfolgreich für die
Entlassung des Verlegers eingesetzt.
1950 kehrt er nach Düsseldorf zurück, beteiligt sich als
Architekt am Wiederaufbau und bezieht das frühere Atelier des Tierbildhauers
Josef Pallenberg. 1956 starb seine Frau, zwei Jahre später heiratete er die 26
Jahre jüngere Charlotte Kluge, mit der er dann zwei Kinder hatte. Er erhielt
zwar kaum noch öffentliche, jedoch zahlreiche private Aufträge, für die er angeblich
Gagen von bis zu 150.000 Mark bezog. Er porträtierte Rudolf-August Oetker und
Gustav Schickedanz, Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, Salvador Dalí und Ernst
Jünger und viele andere. Dali sagte über seinen Freund: „Gott ist die Schönheit
und er sein Prophet.“ Über die Freundschaft beider mit Ernst Fuchs, genannt
„Goldenes Dreieck“, sagte Dalí: „Breker-Dalí-Fuchs. Man kann uns wenden wie man
will, wir sind immer oben.“ Daneben arbeitete Breker als Architekt, darunter bei
der Gestaltung der Gerling-Konzernzentrale in Köln, die wegen ihres monumentalen
Charakters von der Bevölkerung schon bald „Kleine Reichskanzlei“ genannt wurde,
und errichtet 1960 erneut ein Atelier in Paris.
Breker behielt seine Vorliebe für Porträtbüsten und athletische, meist männliche Körper, wobei der das Element der vollendeten Form wieder aufnahm. Bis in die 1980er Jahre arbeitete er, der nach eigenen Angaben „von Muskeln nie genug kriegen“ konnte, nach Sportlermodellen wie der Hochspringerin Ulrike Nasse-Meyfarth und dem Zehnkämpfer Jürgen Hingsen, der als „griechischer Apoll“ verewigt wurde. 1981 beteiligt sich Breker mit einem Entwurf an der Ausstellung „Paris 1937-47“, den er aufgrund massiver Proteste zurückziehen muss, woraufhin er sich deutlich vom Nationalsozialismus distanziert. Dennoch blieb ihm der Vorwurf fehlender Reue anhaften. 1985 eröffnete die Familie von Brekers Kunsthändler Joe F. Bodenstein in Schloss Nörvenich bei Köln das „Museum Arno Breker – Sammlung Europäische Kunst“. Bereits 12 Jahre vor seinem Tod gründete sich in Deutschland die Arno Breker Gesellschaft, acht Jahre vor seinem Tod zog die USA mit der Arno Breker Society International nach.
Brekers Büsten von Ernst Jünger, Ezra Pound und Salvador Dali. Quelle: https://www.meaus.com/94-junger-pound-dali.JPEG
Auch nach seinem Tod wurde er als „Lieblingsbildhauer Hitlers“ gleichermaßen verehrt wie gescholten; sein Kölner Grab war im Oktober 2018 geschändet worden. Breker fühlte er sich als ein Bewahrer der christlich-abendländischen Kultur hellenistischer Prägung. Dieser Mission widmete er sein gesamtes meisterliches Schaffen. Er verstand sich selbst als „Bildhauer des Dreiklangs der Schönheit von Körper, Geist und Seele“ (1932), pathetisch könnte man auch die Verherrlichung des Menschen in der bildenden Kunst nach dem – vollkommenen – Ideal der Schöpfung unterstellen. Obwohl er zeitlebens hochumstritten war, konnte ihm niemand seine künstlerisch-ästhetische Begabung absprechen: Für Aristide Maillol ist er der „Michelangelo des 20. Jahrhunderts“.
Seine Kultshow „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ geht auf
seine Frau zurück, berichtete Tochter Petra im MDR. „Das war am ersten Weihnachtsfeiertag 1956. Meine Mutter
kochte perfekt, alles duftete herrlich und mein Daddy war zuhause und wuselte
in der Küche herum. Er musste ja hier und da mal was naschen. Irgendwann ist
ihr dann der Kragen geplatzt und sie sagte: Mensch, mach Du doch eine Sendung,
so zwischen Frühstück und Gänsebraten. Dann hast Du zu tun und ich habe meine
Küche für mich. Das war es“. Die 1957 erstmals ausgestrahlte Matinee, stets
angekündigt als „bunter Weihnachtsteller mit viel Musik und Humor“, war aber
eigentlich eine heimelige TV-Show wie jede andere.
Die Moderatorin, Schauspielerin und Sängerin Margot Ebert
war zur Premiere Anfang Dreißig, er selbst Mitte Dreißig. Beide begrüßten ihre
Zuschauer noch, als sie im Rentenalter waren. In den ersten Jahren kam die
Sendung live aus dem Friedrichstadt-Palast, später wurde die Weihnachtsstimmung
vorab hergestellt, etwa im Dresdner Kulturpalast. Doch die harmonische
Eintracht vor der Kamera war gespielt. Die Spekulation über das Verhältnis
zwischen den Gastgebern war fast so beliebt wie ihre Sendung. Tatsächlich
fühlte sich Margot Ebert, die nicht nur moderierte, tanzte und sang, sondern in
der Show auch ihre eigenen Gedichte vortragen wollte, von ihrem dominanten
Partner immer stärker unterdrückt.
Doch der Gegendruck von außen war groß: Als er in der 20. Ausgabe bekannt gab, dies sei seine letzte, klingelte noch während der Sendung das Telefon in der Fernsehzentrale Adlershof: Die SED-Parteispitze, die selbst gern eherne Traditionen zelebrierte, wünschte sich dringend eine Fortsetzung. Natürlich auch die Zuschauer. 1984 dann spielte Margot Ebert nicht mehr mit und ließ ihn vorm Tannenbaum allein. Auch diesmal beschworen viele Zuschauer die Moderatorin, so dass sie im folgenden Jahr zurückkehrte und beide noch bis 1991 das traditionelle Kommando 20 Minuten vor Show-Ende, so kurz nach halb eins, gaben: „Kartoffeln aufsetzen!“ Klöße waren auch gemeint. Und Hunderttausende Familienmütter taten wie geheißen.
Der Redakteur, Regisseur, Conférencier, kurz Entertainer hat
daneben zwölf Revuen im Friedrichstadtpalast Berlin, 15
Pressefest-Tourneeprogramme, insgesamt rund 2.500 Sendungen in Rundfunk und
Fernsehen der DDR sowie rund 7.500 Veranstaltungen gestaltet. „Schlaf brauchte
mein Vater nur wenig. Drei bis vier Stunden reichten ihm. Dafür konnte er
überall, wo er gerade war, ein Nickerchen halten, notfalls auch kurz vor der
Probe schräg hinter der Bühne“, erinnert sich Petra. Ihren Vater beschreibt sie
als „wahres Arbeitstier“. Der große Strippenzieher der DDR-Unterhaltungskunst
landete nach der Wende als erster Ossi im Wachsfigurenkabinett des Berliner
Panoptikums am Kurfürstendamm: Heinz Quermann.
Am 10. Februar 1921 kam er in Hannover als Bäckersohn zur Welt.
mit Gartengeräten
jonglieren
Nach dem Besuch der Volksschule begann er 1936 eine
Bäckerlehre und erhielt daneben Violin- und Schauspielunterricht. 1939 legte er
zusammen mit einem gewissen Theo Lingen die Schauspielprüfung ab und hatte
Engagements an Theatern in Bernburg, Magdeburg und Köthen. Anfang Juli 1945 machte
ihn der sowjetische Stadtkommandant zum Intendant des Theaters in Köthen. Ab
1947 war er Leiter der Abteilung Unterhaltung beim Mitteldeutschen Rundfunk
Leipzig, außerdem Redakteur und Sprecher; und ab 1953 Mitarbeiter des Staatlichen
Rundfunkkomitees in Berlin, Hauptabteilung Unterhaltung. Er entwickelt sich in
mehreren Sendeformaten zu einem beliebten Conférencier. So war er ab 1953
Moderator der Schlagerlotterie, ab
1955 von Da lacht der Bär, die später
zur ersten DDR-Fernsehshow wurde, ab 1957 des Amiga-Cocktail und ab 1958 der Schlagerrevue,
der laut Guinnessbuch mit 36 ¼ Jahren und 1731 Ausgaben langlebigsten
Rundfunk-Hitparade der Welt. Ab 1962 war er Arbeitsgruppenleiter beim DDR-Fernsehen.
Als sein größtes Verdienst gilt die Sendung „Herzklopfen kostenlos“, die von 1958 bis 1973 lief. Im Westfernsehen gab es allerdings bereits seit 1953 eine ähnliche Sendung: Peter Frankenfelds „Wer will, der kann. Die große Talentprobe für jedermann“, von der sich Quermann durchaus inspirieren ließ. Eigentlich hatte er mit seiner neuen Sendung nur ein paar neue Gesichter für das Fernsehpublikum entdecken wollen, doch die Parade der jungen Talente wurde schnell populärer als alle anderen Unterhaltungssendungen des DDR-Fernsehens und bekam alsbald einen der begehrten Sendeplätze am Samstagabend. Quermann, der sich in seiner Rolle als leutseliger „Talentevater des Ostens“ sehr gefiel, gab in seiner neuen Show Laienkünstlern aller Art eine Bühne – Schlagersängern, Kabarettisten, Rezitatoren, Instrumentalisten und Schauspielern. Hauptsache, sie hatten etwas Unterhaltsames zu bieten.
„Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ mit Margot Ebert und Heinz Quermann 1991 zum 35. und letzten Mal. Quelle: https://pics.freiepresse.de/DYNIMG/43/23/6154323_M650x433.jpg
Und das Publikum fieberte mit, wenn zwei Schlosser
waghalsige artistische Nummern boten, ein Siebenjähriger Brahms spielte, eine
Kellnerin sich als Kabarettistin versuchte, Soldaten im Chor sangen und Landwirtschaftslehrlinge
mit Gartengeräten jonglierten. Quermann stieg gewissermaßen zum obersten
Talentförderer in Sachen Unterhaltung auf. In allen Bezirken und Kreisen der
DDR suchten hauptamtliche Kulturarbeiter nach geeigneten Kandidaten für seine
Sendung. In den mehr als 1.000 Kulturhäusern der Republik trafen sie gemeinsam
mit Vertretern von Jugendorganisationen und der Einheitsgewerkschaft eine
Vorauswahl. Quermann selbst tourte mit seinem Stab rastlos durchs Land und
sichtete – nur die Besten sollten schließlich eine Chance bekommen.
Und tatsächlich entging Quermann in diesen Jahren kaum ein
junges Talent. Fast alle, die in den 1970er- und 1980er-Jahren zur Prominenz der
DDR-Unterhaltung gehören sollten, waren von ihm entdeckt worden: Frank Schöbel,
Regina Thoss, Monika Herz, Wolfgang Ziegler oder Dagmar Frederic. Auch Veronika
Fischer hatte ihren ersten Fernsehauftritt in „Herzklopfen kostenlos“. Und
selbst Punklady Nina Hagen pries im Jahr 2000 den Talentvater Heinz Quermann
als ihren „Entdecker“. 1973 wurde die Sendung modernisiert und hieß fortan „Heitere
Premiere“. Quermann moderierte nicht mehr, hielt im Hintergrund aber bis zur
letzten Sendung 1990 alle Fäden in der Hand – er schrieb die Drehbücher und
bestimmte, wer auf die Bühne durfte. Karel Gott soll er mal im Scherz
prognostiziert haben: „Junge, du kannst ja richtig singen. Aus dir wird nie ein
Schlagersänger!“
„Tschüss und Winke
Winke“
Einmal im Jahr zeichnete er auf dem Gelände des DDR-Staatszirkus in Hoppegarten die „Nacht der Prominenten“ auf – das Pendant zur westdeutschen Show „Stars in der Manege“, wo sich Promis in anderen Unterhaltungsgenres mal besser, mal schlechter beweisen sollten. Zu Quermanns großen Coups zählte, die Darsteller der im Osten sehr populären dänischen Klamaukreihe „Olsenbande“ dafür zu engagieren, allen voran Egon Olsen alias Ove Sprogoe. „Mit Geld war das natürlich nicht zu bezahlen“, blickt Petra Quermann zurück. Die Mimen wünschten sich russischen Kaviar, der auch in Dänemark unerschwinglich teuer und damals schwer zu bekommen war. Also ließ Quermann seine Kontakte zur DDR-„Delikat“-Kette spielen und lieferte die wertvolle Fracht, 40 Döschen Malossol-Kaviar, beim dänischen Künstleragenten im Ostberliner Palast-Hotel ab.
Quermann auf dem Kongress der Unterhaltungskunst am 1.3.89 in Berlin mit Kurt Hager und DDR-Stars, darunter Michael Hansen, Barbara Kellerbauer, Ines Paulke und Dagmar Frederic. Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/07/Bundesarchiv_Bild_183-1989-0301-031%2C_Berlin%2C_Kongress_der_Unterhaltungskunst.jpg
Seine Lieblingsrolle war aber eher unscheinbar: Die
Darstellung der „Märchenomi“ in der Sendung „Mit Lutz und Liebe“ mit Lutz
Jahoda. Die umgestrickten Märchen enthielten so manche Kritik am Ost-Alltag.
Doch Quermann, in der DDR nie in der Einheitspartei SED, sondern sehr früh
Mitglied der liberaldemokratischen LDPD, beherrschte den schwierigen Spagat
zwischen Unterhaltungskunst und Partei-Lenkung. Andere konnten das nicht so gut
und wurden knallhart fallengelassen, etwa der Conferencier O.F. Weidling. Nach
dem Kunstpreis der DDR 1959 erhielt er 1977 den Nationalpreis und 1986 gar den
Vaterländischen Verdienstorden.
Privat legte der Kreative Wert auf Ruhe, gefiel sich vor und nach dem Dienst dagegen als Schnellfahrer. Noch mit knapp 80 musste er seinen Führerschein abgeben, weil er auf einer 80er Strecke mit 122 km/h geblitzt wurde. Seine Ehe mit der Rundfunksprecherin Ruth Peter, mit der er Tochter Petra bekam und die bereits 1994 starb, verlief unspektakulär. Er war Ehrenmitglied der 1. Köthener Karnevalsgesellschaft. 1996 veranstalteten mehr als 40 seiner „Zöglinge“ aus der Schlager-Szene eine vierstündige Gala in der Schwarzenberger Waldbühne und sangen ein Abschiedsständchen unter dem Titel „Das gibt’s nur einmal“. Die Liste der Darsteller war ein „Who’s who“ des DDR-Schlagers.
„Palim Palim“ mit Hallervorden und Gerhard Wollner. Quelle: https://www.bz-berlin.de/data/uploads/2015/09/142621448_0eb2a0c65a-768×432.jpeg
2000 erhielt er die „Goldene Henne“ für sein Lebenswerk. Zuletzt hatte Quermann Herzprobleme und litt an Demenz. Der unbestrittene Schlagerpapst, der sich immer mit einem fröhlich-väterlichen „Tschüss und Winke Winke – Ihr Heinz der Quermann“ von seinem Publikum verabschiedete, sagte am 14. Oktober 2003 in Berlin endgültig Tschüss. Vier Jahre später erklärte Dieter Hallervorden, er habe mit Heinz Quermann häufiger Sketche und Witze ausgetauscht. Den Sketch „Flasche Pommes Frites“, auch bekannt als „Palim-Palim“, will er ihm für ungefähr 500 Westmark abgekauft haben.
Es waren nicht nur Sätze von
bemerkenswerter Klarheit, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Ende Januar in der
Bundespressekonferenz formulierte. Die promovierte Physikerin gab mit diesem
Statement offenkundig bedenkenlos zu, dass für sie Wissenschaft nicht (mehr?)
wertfrei und objektiv, sondern ideologisch subjektiv aufgeladen ist: „Es gibt
in dem ganzen auch politische Grundentscheidungen, die haben mit Wissenschaft
nichts zu tun. Mit der Einladung von bestimmten Wissenschaftlern wollen wir auf
bestimmte Fragen, die uns interessieren und die nicht politischer Natur sind,
Antworten bekommen.“
Genau dies war und ist der
Vorwurf von Kritikern, dass eben nur „bestimmte“ Wissenschaftler mit Antworten
auf „bestimmte“ Fragen gehört werden und deshalb „bestimmte“ Antworten und
„bestimmte“ Entscheidungen herauskommen. Prompt warf der Bundesverband
mittelständische Wirtschaft der Bundesregierung vor, sich in der Corona-Krise
einseitig beraten zu lassen. Es fehle ökonomischer Sachverstand, sagte
Bundesgeschäftsführer Markus Jerger dpa.
Bei einem Expertengespräch vor Beratungen von Bund und Ländern sei keiner der
fünf „Wirtschaftsweisen“ dabei gewesen, sondern vor allem Virologen. Der nichteingeladene
Virologe Henrik Streeck wiederum verkündete in der FAZ stracks: „Die Entscheidungen sind politisch, nicht
wissenschaftlich“ – und bestätigte damit Merkel von der entgegen gesetzten
Seite der Argumentation.
Die räumte mit ihren Äußerungen faktisch ein, dass ihr Kurs nicht alternativlos ist – dass sie sich aber gegen die Alternative entschieden habe und nur mehr mithilfe von Zirkelschlüssen regiert: Man hat eine politische Linie, lädt nur solche Berater ins Kanzleramt, die diese Linie stützen, und erklärt dem Bürger, die politische Linie werde ja durch die Berater gestützt. Es ist nicht völlig klar, ob man damit vor allem das Volk täuschen will oder sich selbst oder beides – das war ein vollständiger intellektueller Offenbarungseid. Das befand selbst FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki auf Facebook: „Dass sich die Bundeskanzlerin … lieber von selbst ausgewählten Beratern bestätigen lässt, zeigt, dass sie nicht mehr nach dem besseren Weg sucht, sondern den einmal eingeschlagenen Weg durchbringen will. Koste es, was es wolle.“
Merkel vor der BPK. Quelle: https://www.bundesregierung.de/resource/image/1780820/16×9/990/557/c728effa2d94b66083ffde49415279fd/Is/2020-08-28-merkel-sommer-pk.jpg
Der wie üblich medial kaum
beachtete Vorgang kann gar nicht laut, oft und drastisch genug kommentiert
werden, zeigt er doch, dass seit spätestens 2015 nicht nur das Recht, sondern
auch die Wissenschaft massiven Verwerfungen ausgesetzt ist. Corona wirkte
insofern wie ein Brennglas, das entzündete, was schon seit längerem in der
„scientific community“ schwelt: die ideologische Zurichtung von Erkenntnis,
verbunden mit der politisch-medialen Abwertung nicht genehmer Forscher bzw.
Forschungsergebnisse sowie akademischer Grade, geklammert von der
Geringschätzung der Geisteswissenschaften bei gleichzeitiger Ökonomisierung der
Naturwissenschaften.
Absurde Einseitigkeit
So zeugt vor allem der Umgang
mit Corona von einer absurden Einseitigkeit, die gepaart ist mit dem beinahe
vollständigen Schweigen anderer Wissenschaftler, die es einfach hinnehmen, dass
Wissenschaft zur Spielfigur auf dem politischen Schachbrett degradiert wird,
oder andernfalls medial totgeschwiegen werden. Allen voran ereifert sich die Hallenser
Wissenschaftsvereinigung Leopoldina mit ihren knapp 2000 Mitgliedern, darunter
dem Kanzlergatten, und lässt sich willig als Inhaberin der absoluten Wahrheit
feiern, indem sie dem Bürger suggeriert, sie sei im Besitze des Wissens, das
aus der Pandemiekrise führen werde. Leopoldinas Weisheit letzter Schluss ist
der harte Lockdown, wie es in einer Stellungnahme von Anfang Dezember 2020
heißt und der dann auch so umgesetzt wurde. Dass diese Stellungnahme die
Prinzipien wissenschaftlicher und ethischer Redlichkeit verletzt, ist so
evident, dass mit dem Tübinger Professor Thomas Eigner inzwischen ein
Leopoldina-Mitglied ausgetreten ist, weil er es mit seinem Gewissen nicht
vereinbaren könne, ein Teil dieser Art von Wissenschaft zu sein.
So ist der
Begriff „Inzidenz“ ein rein politischer und hat nichts mit dem viel umfangreicheren
epidemiologischen Inzidenzbegriff zu tun. Der politische Begriff ist eigentlich
nur eine Melderate, doch auf dieser baut die absurde Logik auf, dass zum einen
Infiziert gleich krank und krank gleich potentieller Beatmungspatient bzw.
potentieller Toter heißt. Sie verkennt zum anderen, dass jeder Symptomlose
trotzdem infiziert und damit potentieller Ansteckungsherd sein kann. Hier
werden sämtliche medizinischen Maßstäbe ins Groteske gekippt und neben dem
wirtschaftlichen Totalschaden des Landes auch sein sozialer Tod in Kauf
genommen. Das ist keine Politik, das ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod; und
manche lauten Wissenschaftler gerieren sich dabei als Totengräber.
In diesem
Zusammenhang muss zu denken geben, dass just mit der Amtsübernahme von Joe
Biden und seinem am ersten Amtstag verfügten Wiedereintritt in die
Weltgesundheitsorganisation WHO eben diese ihre Richtlinien für die
Interpretation von PCR-Tests änderte. Darin heißt es nun, man solle den
Schwellenwert, ab dem ein Testergebnis als positiv gilt, unter Umständen
manuell anpassen. Ergebnisse, die „gerade so“ noch positiv seien, müssten sehr
vorsichtig interpretiert werden. Ein PCR-Test kann also positiv sein – und man
weiß dennoch nicht, ob der positiv Getestete nun viele Viren in sich trägt (und
vielleicht ansteckend ist) oder ob es nur ganz wenige Virenanteile sind, die
lediglich aufgrund einer hohen Zyklenzahl so stark vervielfältigt wurden, dass
schließlich ein positives Testergebnis herauskam.
Wenn das
Testergebnis nun nicht mit dem gesundheitlichen Zustand des Getesteten
übereinstimmt (wenn er positiv ist, aber putzmunter wirkt, also keine Symptome
hat), dann muss ein erneuter Test durchgeführt werden, so die WHO. Auf gut
Deutsch: Die PCR-Tests sind also überhaupt nicht geeignet, um eine
Corona-Infektion zuverlässig festzustellen, vor allem, wenn es sich um Menschen
ohne klinische Symptome handelt. Es sind also viel zu viele Menschen aufgrund
eines vermutlich falschen Testergebnisses in Quarantäne geschickt worden. Wurden
früher Pandemien anhand von Todeszahlen als solche bestimmt, genügen heute die
Zahlen von Infizierten. Wie sehr muss eine Regierung ihren
„wissenschaftlich begründeten“ Maßnahmen misstrauen, wenn die Bürger in Bussen,
Bahnen und an Bahnhöfen ständig mit der Erinnerung an die Maskenpflicht
penetriert werden?
„Denn der unaufgeregte Diskurs über Daten und Fakten wurde schnell einer global entfachten Panikstimmung geopfert, die den seriösen Blick der Wissenschaft beiseiteschob, um sich als Propagandawelle in die Gemüter der Menschen zu ergießen“, befindet Fabian Nicolai auf achgut. „Der Bezug auf medizinwissenschaftliche Basisdaten konnte entfallen und das Rudiment als Tatsache verkauft werden“. Mit Prof. Dr. Michael Esfeld stellte ein Leopoldina-Mitglied in einem Protestschreiben fest: „Es gibt in Bezug auf den Umgang mit der Ausbreitung des Coronavirus keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die bestimmte politische Handlungsempfehlungen wie die eines Lockdowns rechtfertigen.“ Er hat sogar gefordert, die Akademie solle das Papier zurückziehen, weil es den Anschein erweckte, die Forscher seien sich einig. So ist es aber nicht. „Es gab keine ‚epidemische Lage von nationaler Tragweite‘, wenngleich dies der Bundestag mit Wirkung ab dem 28.03.2020 festgestellt hat“, urteilte jetzt, endlich, ein Weimarer Amtsrichter.
Esfeld habe mit seiner Aussage
völlig Recht, dass höchst umstritten ist, ob der Nutzen scharfer politischer
Maßnahmen wie ein Lockdown die dadurch verursachten Schäden aufwiegt, so der
wissenschaftspolitische Sprecher der Stuttgarter AfD-Fraktion Dr. Bernd Grimmer
MdL. „Auch seiner Aussage, dass es ethisch in der auf Immanuel Kant
zurückgehenden Tradition Gründe gibt, grundlegende Freiheitsrechte und die
Würde des Menschen auch in der gegenwärtigen Situation für unantastbar zu
halten, stimme ich uneingeschränkt zu. So gehört zur Würde des Menschen die
Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, welche Risiken sie einzugehen bereit
ist.“ Das betrifft vor allem die Frage des Impfens: „Die Pandemie wird nicht
verschwinden, wenn der Impfstoff zur Verfügung steht. Sie wird dann zu Ende
gehen, wenn das Virus alle Menschen gefunden hat“, so der Epidemiologe Klaus
Stöhr, Ex-Chef des weltweiten Influenza-Programms der WHO, der leider nur auf Tichys Einblick zitiert wird. Ein Virus
ist von Natur aus unbesiegbar, auch wenn das dem Narzissmus der schon länger
hier Regierenden ein Dorn im Auge ist.
„verwirrend und irritierend“
Eine andere Facette dieser
Einseitigkeit ist das nachgerade totalitäre Wissenschaftsverständnis, wie es
jüngst die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, die
Heidelbergerin Katja Becker, an den Tag legte. Wer will, dass Virologen „öfter
mit einer Stimme sprechen“, und für wünschenswert hält, dass die
Wissenschaftler „zunächst untereinander diskutieren und sich dann auf eine
gemeinsame Linie verständigen“, offenbart die Sehnsucht nach einer
Stromlinienförmigkeit von Erkenntnis, die diese zum Glück nie haben wird. Ihre
Würdigung der „Vielstimmigkeit einer wissenschaftlichen Community“
konterkariert sie sofort selbst, wenn sie beklagt, dass diese Stimmen hinterher
„oft mühsam wieder in Einklang gebracht werden“ müssen, „wenn es beispielsweise
darum geht, politische Entscheidungen zu treffen“. Das sei „bisweilen
verwirrend und irritierend, außerdem kostet es zu viel Zeit“.
Da liegt der Hase im Pfeffer. Becker
will offenbar ebenso wie Merkel „durchregieren“ und sich der einstimmigen
wissenschaftlichen Unterstützung sicher sein: „Das ist ebenso feige wie
diktatorisch und nicht nur einer Demokratie unwürdig, sondern befördert ihre
Abschaffung von oben“, erboste sich Grimmer und forderte Beckers Rücktritt.
Zugleich erinnerte er daran, dass auch der vor Monaten noch führbare Streit
zwischen Christian Drosten und Alexander Kekulé gezeigt habe, dass es „die
eine“ wissenschaftliche Erkenntnis und Lösung nicht gibt. Nur das immer
wiederkehrende Wechselspiel von These und Antithese garantiert fortschreitende
Erkenntnis. Noch 1931 versuchten 100 Autoren gegen Einstein, eine
„Mehrheitsmeinung“ durchzusetzen, was diesen sinngemäß zu der Aussage
veranlasst haben soll: „Gleich 100? Wenn sie Recht hätten, würde doch einer
genügen“. Wie dieser Streit ausging, ist bekannt.
Doch die kritische Überprüfung
von Forschungsergebnissen wird nicht mehr als notwendiger Bestandteil wissenschaftlichen
Arbeitens gesehen, sondern als Störfaktor auf dem Weg zur absoluten Wahrheit,
die zu einer idealen linken Gesellschaft führt. „Der Marxismus ist allmächtig,
weil er wahr ist“, hieß es bis 1990. Wir sind entsetzlicherweise auf dem Weg in
ein Gemeinwesen, das genau solche Verdikte über die wissenschaftliche
Erkenntnis stellt. Becker hatte sich schon Anfang August 2020 disqualifiziert,
als unter ihrer Verantwortung ein selbst in Auftrag gegebenes Videostatement
des Kabarettisten Dieter Nuhr zum 100. DFG-Gründungsjubiläum nach einem
Shitstorm auf den Seiten der DFG feige gelöscht wurde. Dieses Phänomen der „Cancel
Culture“ begann spätestens 2017 mit der Absage eines zuwanderungskritischen
Vortrags über den „Polizeialltag in der Einwanderungsgesellschaft“ an der
Frankfurter Goethe-Universität durch die Ethnologin Susanne Schröter. Reden
sollte der Bundesvorsitzenden der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, doch 60 von
Schröters Kolleginnen und Kollegen hatte in einem offenen Brief die Wiederausladung
des Gewerkschaftsmannes gefordert und sich durchgesetzt.
Eine bereits 2018 durchgeführte Befragung von 932 Studenten der eher linken Sozialwissenschaften in Frankfurt brachte jüngst den alarmierenden Befund, ein Drittel bis die Hälfte der Befragten dagegen sind, Redner mit abweichenden Meinungen zu den am meisten umstrittenen Themen Islam, Geschlecht und Zuwanderung an der Hochschule zu dulden. Noch höher ist der Anteil derer, die solchen Personen keine Lehrbefugnis geben würden, wiederum ein Drittel will ihre Bücher aus den Bibliotheken verbannen. Eine derartige Haltung ist nicht mehr weit von der Bücherverbrennung aus unseligen Zeiten entfernt. Die Toleranz für andere Ansichten war unter den sich als links bezeichnenden Studenten außerdem deutlich geringer als im konservativen Spektrum. Die Studienautoren Revers und Traunmüller erkennen in den restriktiven Sprachcodes, gewalttätigen Protesten gegen kontroverse Vortragende und im Wunsch nach Demission unliebsamer Professoren einen „klaren Indikator für die entsetzliche Zukunft der Meinungsfreiheit“ insgesamt – und der Wissenschaftsfreiheit, muss man hinzusetzen.
Uni FFM . Quelle: https://www.fnp.de/bilder/2018/02/02/10416227/34416904-2083280-446b.jpg
Prompt hat sich heute ein
Netzwerk gegründet, das Wissenschaftler bei umstrittenen Forschungsthemen
unterstützen soll, falls sie sich nicht mehr Positionen einzunehmen getrauen,
die zum Mainstream divergieren. „Versuchen Sie mal in einem biologischen
Seminar über Genetik und Vererbung zu sprechen sowie über die Frage, wie weit
Weiblichkeit etwas Angeborenes oder etwas kulturell Anerzogenes ist … Die
Lockerheit und Entspanntheit im freien gemeinsamen gedanklichen Experimentieren
ist bei den wirklich wichtigen politischen Themen verloren gegangen“, so die
Philosophin Maria-Sibylla Lotter im Cicero.
„Es ist empörend, dass die
Furcht vor medialen Empörungswellen so immens ist, dass die Wissenschaftler
lieber schweigen“, befindet Grimmer und spricht von einer „Trendwende im Kampf
um die Meinungsfreiheit“. Dass Wissenschaft zum Schweigen gebracht wird, sei zwar
kein neues Phänomen, doch würde es jeder Demokrat einem diktatorischen Regime
zuschreiben. „Doch diese demokratieunwürdigen Verhältnisse sind nun auch bei
uns angekommen. Die Freiheit der Lehre und Wissenschaft aber ist ein Grundrecht,
das nicht verwehrt werden kann. Dass sie sich zusammenschließen, um für etwas
zu kämpfen, was eigentlich selbstverständlich sein müsste, ist ein untragbarer
Zustand“, so Grimmer.
„Droh- und Schmähanrufe“
Im Gegenzug allerdings werden
andere, politisch erwünschte Forschungsgebiete geradezu „gehypt“. Laut dem im
Dezember verabschiedeten Bundeshaushalt für das Jahr 2021 soll der Etat für
Bildung und Forschung zwar von 18,2 auf 20,8 Milliarden Euro steigen.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sah jedoch in ihrer Rede im Bundestag im
Fokus von Bildung und Wissenschaft: die Bewältigung der Corona-Pandemie, die
digitale Bildung, die Mitgestaltung von Schlüsseltechnologien, darunter die
Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie, und – die Klimaforschung.
Klimaschützer hätten sich mit
ihrem Engagement für eine nachhaltigere, lebenswertere Welt hinter der
Wissenschaft verschanzt, befindet Welt-Chef
Ulf Poschardt. „Sie haben eine tolle Meinung und sagen nur zwei Sachen: Pariser
Abkommen einhalten und ‚listen to the science‘. Die Wissenschaft – oder,
genauer, der besonders alarmistische Teil – wird als der Weisheit letzter
Schluss präsentiert, sie dürfe auch demokratische Kompromissformeln und gesellschaftliche
Prozesse infrage stellen. Es ist kein Zufall, dass die aktuellen
Lockdown-Fetischisten im Zweifel die Bekämpfung der Corona-Krise mit der
Bekämpfung der Klima-Krise vergleichen.“
Der renommierte Klimaforscher Hans von Storch bezweifelt im Spiegel, „dass junge unausgebildete Leute in Nordeuropa beurteilen können, was Regierungschefs … tun oder nicht tun – geschweige denn welche schwierigen Abwägungsprozesse in den einzelnen Ländern ablaufen. Was die jungen Klimaaktivisten anbieten, ist ein wilder Mix aus Fakten und Spekulationen. … Früher war ein Sturm einfach ein Sturm, heute gilt er manchen als ein Vorbote des Weltuntergangs.“ Allein die Helmholtz-Gemeinschaft verzeichnete allein 2013 für die Klimaforschung 450 Mio. Euro Fördermittel, davon 325 Mio. Programm- und 125 Mio. Drittmittel.
Wie sich die Klimaforschung sieht. Quelle: https://www.deutsches-klima-konsortium.de/fileadmin/processed/5/5/csm_dkk-aufgaben-klimasforschung_ebbda34a3a.png
Als Ex-US-Vize Al Gore quasi
über Nacht zum „Papst in Sachen Global Warming“ wurde, „war die
Klimawissenschaft mit dem Virus der Politik infiziert. Der ist tödlich, denn in
der Wissenschaft geht es um Wahrheit, in der Politik aber um Mehrheit. Als
Folge davon ist heute eine sachliche Untersuchung der Physik der Erdatmosphäre
nicht mehr möglich“, so der Kernphysiker Hans Hofmann-Reinecke auf achgut. Er erkennt weltweit entstandene
Institutionen, „welche die Unterstützung der Mächtigen genießen und dafür
pseudo-wissenschaftliche Rechtfertigungen derer Politik liefern. Solche Arbeit
ist nicht von Selbstkritik geprägt, sondern von der Hexenjagd auf externe
Kritiker, die ihren Schwindel aufdecken könnten. Aber Selbstkritik wäre hier
dringend notwendig, denn die zu messenden Effekte sind so schwach, dass man
sich leicht selbst zum Narren halten kann“.
Ein anderes politisch
erwünschtes Forschungsgebiet sind die „Gender Studies“, von denen sich Deutschland
knapp 300 Lehrstühle und Zentren leistet. Wurden von 1995 bis 2005 hierzulande 663
Professorenstellen in den Sprach- und Kulturwissenschaften trotz steigender
Studentenzahlen eingespart, hat sich das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen
für die Gender-Studies höchst großzügig gezeigt und allein zwischen 1986 bis
1999 an 21 Hochschulen 40 Professuren für das „Netzwerk Frauenforschung NRW“
neu geschaffen, darunter auch eine für „feministische Ökonomie“ in Münster. Wie
streng die Sanktionen gegen Andersdenkende sind, erfuhr 2004 ein Professor an
einer deutschen Universität, der in einem Essay Gender-Mainstreaming als
totalitäre Steigerung der Frauenpolitik bezeichnet hatte. Der
Wissenschaftsminister untersagte ihm unter Androhung disziplinarischer und
strafrechtlicher Konsequenzen, Derartiges weiter zu publizieren. „Diskutieren
wollte niemand, dagegen bekam ich anonyme Droh- und Schmähanrufe sowie soziale
Distanzierungen und Ridikülisierungen“, sagt der Wissenschaftler anonym dem Handelsblatt.
„Stünde es um die akademische Freiheit, um die Freiheit des Denkens und Forschens, nicht besser, wenn es diese Katheder mit ihrer behaupteten Allzuständigkeit nicht gäbe“, fragt Alexander Kissler im Focus. „Dort werden Waffen geschmiedet im Kampf gegen das Männliche als Prinzip, Form und Person, mal auf grammatikalischen, mal auf diskurspolitischen Wegen.“ Der Linguist Peter Eisenberg erkennt, dass der Streit über Sinn und Unsinn von Bemühungen um einen Umbau des Deutschen zur geschlechter- oder gendergerechten Sprache auch die Mitte der Sprachwissenschaft erreicht habe, und empört sich über die Abschaffung des generischen Maskulinums der Duden-Redaktion. „Der Duden vertritt nicht die Sprache, wie sie ist, sondern er will die Sprache umbauen. In dieser Offenheit, in dieser Dreistigkeit hat es das bisher nicht gegeben“, sagte er dem NDR.
Peter Eisenberg. Quelle: https://media0.faz.net/ppmedia/aktuell/karriere-hochschule/2511106376/1.5981950/width610x580/peter-eisenberg-ist.jpg
Der Duden bildet sich offenbar
ein, er könne auf diese Weise den allgemeinen Sprachgebrauch manipulieren, um
dann festzustellen, der Gebrauch habe sich verändert und er folge ihm: „Man
kann das nur als skandalösen Fälschungsversuch bezeichnen“, so Eisenberg. Damit
würde der Gegenstand der Sprachwissenschaft desavouiert, seine Bedeutung für
die Disziplin als empirische Wissenschaft negiert, ja ihr buchstäblich der
Boden unter den Füßen weggezogen. „Hier versucht ein winziges Häuflein
pseudofeministischer Sprachmoralisten, den allgemeinen Sprachgebrauch zu
beeinflussen, eine wissenschaftlich einseitige Sichtweise zu propagieren und
damit in eine ideologisch genehme Richtung zu lenken“, empört sich auch die
Stuttgarter gleichstellungspolitische AfD-Fraktionssprecherin Carola Wolle MdL.
„De facto aber besitzt nicht der Duden die Deutungs- oder gar Definitionshoheit
über die deutsche Sprache, sondern allein die Sprachgemeinschaft der rund 100
Millionen deutschen Muttersprachler weltweit.“
„Mitglieder mit Rückgrat“
Abwertungsindizien finden sich vor
allem im Umgang mit akademischen Graden. Während Freiherr zu Guttenberg und
Annette Schavan (Union) noch gehen mussten und überdies deren Doktortitel aberkannt
wurden, darf Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) weiter Karriere
machen und ihren zunächst behalten. Die Ankündigung der erneuten Prüfung ihrer Doktorarbeit
durch den Präsidenten der Freien Universität FU Berlin, Günter M. Ziegler, kann
man nur „akademische Schande“ nennen: er sagte allen Ernstes, es werde „ergebnisoffen“
geprüft. „Wieso muss diese Selbstverständlichkeit betont werden“, wundert sich
Grimmer und fragt sich, was als nächstes folgt: „Ergebnisoffene Forschung?
Promotionsverfahren, bei denen politische Kontakte keine Rolle spielen? Auch
der Satz, dass die Mitglieder der neuen Prüfungskommission alle ‚Mitglieder mit
Rückgrat sein‘ werden, lässt tief blicken: hatten die alten keins? Oder steht
wegen der politischen Prominenz der Kandidatin zu befürchten, dass nicht
genehme Ergebnisse karrierehindernd wirken könnten? Diese Wortwahl ist ebenso
entlarvend wie empörend und eines deutschen Universitätspräsidenten unwürdig.“
Daneben verweist Grimmer darauf,
dass die Giffey-Debatte schon viel zu lange und vor allem grundsätzlich falsch
geführt wird. „Die erste Reaktion der FU auf Giffeys Plagiat, nämlich nur eine
Rüge auszusprechen, also faktisch gar nichts zu tun, war bereits unrechtmäßig,
weil es für die Rüge schlicht an einer Rechtsgrundlage fehlt und es die im
Promotionsverfahren gar nicht gibt. Schon hier wäre nur die Aberkennung in
Frage gekommen“. Es sei verlogen, auf den Doktortitel zu verzichten und ihn
künftig nicht mehr zu führen mit der Begründung „Wer ich bin und was ich kann,
ist nicht abhängig von diesem Titel.“
Denn bislang stand dieser Titel
für wissenschaftliche Gründlichkeit, akademische Reife, die Fähigkeit
selbstständigen und akribischen Forschens und dafür, der allgemeinen
Nivellierung unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Prompt schlug der
Berliner Wirtschaftswissenschaftler Steffen Huck in der Zeit vor, den Doktortitel zugunsten eines
Peer-Review-Publikationsprozesses abzuschaffen, weil er „bloß die Macht von
Betreuern, Bürokraten und Erbsenzählern“ sichere. Die auf Giffey & Co.
gemünzte Begründung, dass der Welt „Skandale wie dieser Tage endlich erspart“
blieben, ist dabei ebenso kurzsichtig wie nivellierend. Wir haben schon das
Geschlecht abgeschafft, jetzt auch den Doktortitel – wozu eine Goldmedaille,
wenn dabei sein alles ist? „Diese Begründung wäre eher eine Kapitulation vor
den Scharlatanen“, meint Grimmer.
Das Problem ist nicht der Doktortitel, sondern wie leicht bzw. mit wie wenig Aufwand er teilweise erworben werden kann – angesichts von „Promotionsagenturen“, Ghostwritern usw. muss man sich für seine Redlichkeit scheinbar schon rechtfertigen. Einer Recherche des ARD-ZDF-Content-Netzwerks Funk zufolge schreiben inzwischen ukrainische Ghostwriter gar schon Bachelorarbeiten für deutsche Studenten. Zwischen 900 und 2.700 Euro kostet eine 30-seitige Arbeit; der Autor sieht davon kaum 20 %. Wenn man also wissenschaftlich Unbrauchbares abschaffen will, müsste man zuerst den Bachelorgrad diskutieren, ist sich Grimmer sicher. „Denn er führt üblicherweise nicht zu Publikationen und lähmt das System mit massenhaften Modulprüfungen – oft genug für Studenten, die sich weder für Forschung interessieren noch irgendein Talent dafür haben.“
Was ist der Doktor heute noch wert? Quelle: https://cdn.iz.de/media/images/image-0030907_s768xauto_c0x40_1284x864.jpg
Hinzu kommt, dass die
Peer-Review-Praxis in den letzten Jahren zunehmender Kritik ausgesetzt ist.
Einerseits gibt es auch bei den Peer-Reviewed Journals Zitier- und
Gefälligkeitskartelle, ja den Editor und Forscher in Personalunion. Der niederländische
Wissenschaftsverlag Elsevier hat 2019 in seinen Journalen in 433 Fällen
wissenschaftliches Fehlverhalten von hunderten Peer-Reviewern gefunden.
Andererseits haben jüngst Autoren zwei große Studien zu COVID-19 zurückgezogen,
obwohl sie nach Peer Reviews in hochrangigen Journals veröffentlicht worden
waren.
Zudem geht dank Preprint-Servern
wie bioRxiv und medRxiv die Veröffentlichung eventuell bahnbrechender
Studienergebnisse viel schneller. Mehr als 3300 Studien zu Corona sind bisher
auf bioRxiv veröffentlicht worden; die meisten politischen Entscheidungen in
Zusammenhang mit dem Umgang mit SARS-CoV-2 stützen sich in erster Linie darauf.
Publikationsdruck wie gerade der einer Promotion führt da nur zu Fehlanreizen
und könnte damit tatsächlich die Abhängigkeit junger Wissenschaftler von ihren
Betreuern vergrößern statt im Gegenteil zur wissenschaftlichen Emanzipation der
Promovenden beizutragen. Eine Dissertation ist mehr als nur eine Anhäufung von
ein paar Aufsätzen, weil die geistige Architektur, die man dafür errichten
muss, viel komplexer und größer ist.
„Brotgelehrter als Symbol von Enge“
Wer promoviert, weist auch nach,
sich unbekannte Inhalte strukturiert anzueignen, zu kontextualisieren, damit
sich und sein Denken auf ein höheres Niveau zu heben. Auf diesem Potential
beruhte gerade in den Naturwissenschaften die Stärke unseres Landes. Man geht
doch auch nicht aufs Gymnasium, um dann kein Abitur zu machen. Eine solche
Selbstbeschneidung kann nicht im Sinne unseres nationalen Wohlergehens sein.
Doch „Selbstbeschränkung und Meinungskonformismus“ konstatiert selbst der
Hamburger Historiker Christoph Ploß, der für die CDU im Bundestag sitzt. In
Teilen der Wissenschaft werde immer stärker infrage gestellt, andere Meinungen
anzuhören und diese als Gedankenanstoß zu empfinden, weil „Kraft und Mut“
fehlten: „Dabei wären gerade in Zeiten schnelllebiger Meinungskonjunkturen und
einer Flut von Fake News grundlegende Erkenntnisse der Wissenschaft wichtiger
denn je“, schreibt er im Cicero.
Vor allem der Drittmittelzirkus
würde zu einem selbstreferentiellen bürokratischen System führen, das das
„Interesse, aus den eigenen akademischen Echokammern herauszutreten und mit
einer breiteren Öffentlichkeit zu diskutieren“, sinken ließe. Das beklagte in
der Tagesstimme auch
Ex-Lehrerverbandschef Josef Kraus: „Die Fragen der Universitätspolitik lauten
nämlich heute: Wie gestalten wir Forschung und Wissenschaft so, dass wir einen
praktischen Nutzen davon haben? Wie kommen wir an Drittmittel? Wie schaffen wir
es, in den Rang der Exzellenz-Universität zu kommen? Wie kann Hochschule zu
einem betriebswirtschaftlich-kundenorientierten Dienstleister werden?“ Für Ferdinand
Knauss hat sich auf Tichys Einblick die
Politisierung des Lehr- und Forschungsbetriebs im Dienste bestimmter
ideologischer Botschaften aus den Sozial- und Kulturwissenschaften auch schon
in die Naturwissenschaften ausgebreitet.
Solche Konzentration auf Quantitäten und Verwertbarkeit ist falsch; eine Reduktion von Bildung und Wissenschaft auf bloße Qualifikationen und Kompetenzen hinterlassen ein Vakuum. Nur der umfassende Gebildete aber ist frei und mündig, weil er sich gelegentlich zurücknehmen und reflektieren kann: „Wissenschaft schafft Wissen, nicht Maschinen oder Reichtum“, weiß Hofmann-Reinecke. Vor diesem Hintergrund – Gender-Studies einer- und Klimaforschung andererseits zum Trotz – muten das Selbst- und Fremdverständnis um unsere Geisteswissenschaften befremdlich an: Von den insgesamt 48.547 Professoren des Jahres 2019 stellten die Geisteswissenschaften nur 4.693. Zum Vergleich: 14.527 waren es in den Rechts-/ Wirtschafts-/ Sozialwissenschaften, 12.535 in den Ingenieurswissenschaften, 6.456 in Mathematik und Naturwissenschaften, 4.442 in der Medizin…
Gewiss garantieren die Natur-
und Ingenieurswissenschaften Wertschöpfung, ohne die ein differenziertes
Bildungswesen nicht finanzierbar ist. Aber es sind die Geisteswissenschaften,
vor allem die Philosophie, die Theologie, die Geschichtswissenschaften, die
Literatur- und Sprachwissenschaften, die Orientierungsverluste der
nihilistischen Moderne mit ihrem „anything goes“ und „alternative“, in
Kommunikationsblasen verbreitete Fakten ausgleichen beziehungsweise widerlegen
helfen, ist sich Kraus sicher. Diese Ideologien bedeuten nämlich Beliebigkeit.
Fehlende traditionelle Sinnbezüge mögen als „unmodern“ gelten, aber sie
hinterlassen Orientierungslosigkeit. Geisteswissenschaften erbringen ihre
besondere Leistung als historisch-erinnernde, als Werte- und
Geltungswissenschaften. Sie tragen dazu bei, das eigene Menschsein zu
verstehen, zu entfalten und zu gestalten.
Der Mensch ist eben nicht nur
ein möglichst gut funktionierender „homo oeconomicus“, sondern ein
historisches, sittliches, sprachlich-ästhetisches, sinnsuchend-religiöses Wesen
und ein „zoon politikon“. Er bedarf des übernützlichen Sinns. Das heißt für
Kraus: Eine Reduktion von Bildung und Wissenschaft auf bloße Qualifikationen
und Kompetenzen hinterlassen ein Vakuum. Nur der umfassende Gebildete aber ist
frei und mündig, weil er sich gelegentlich zurücknehmen und reflektieren kann.
Friedrich Schiller hatte in seiner Jenaer Antrittsvorlesung vom 26. Mai 1789
mit dem Titel „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“
die faustische Kernaussage getätigt: Der Brotgelehrte ist Symbol von Enge, der
philosophische Kopf erforscht, was die Welt im Innersten zusammenhält. „Wo der
Brotgelehrte trennt, vereinigt der philosophische Geist.“ Diese Einheit ist
nicht mehr gewollt, Diversifizierung und Dekonstruktion sind die aktuellen Rezepte
zur Medikamentation eines karzinogen verstandenen Wissenschaftsbetriebs, der
überdies seit Monaten auf Präsenz verzichtet und Studenten allein lässt.
Das Fazit ist mehr als bitter. „In
den letzten Jahren sind wir Zeugen eines vollendeten Schulterschlusses aus
Politik, Wissenschaft und Medien geworden, der die zur gegenseitigen Kontrolle
notwendige kritische Distanz zum Staat und seiner Regierung restlos nivellierte“,
bilanziert Nicolai. Dazu habe sich ein widerstandslos anbiederndes
Großunternehmertum gesellt, das „im Appeasement-Modus nicht ungeübt mit den
Gretas und Luisas dieser Welt“ sei, was „zur Gleichschaltung der Antagonisten
geführt“ habe.
Für den 2018 an der TU Berlin in den (Un-)Ruhestand verabschiedeten Medienphilosophen Norbert Bolz lassen sich immer mehr Wissenschaftler dazu überreden, ihre Prognosen als Gewissheiten anzubieten. In seinem Bändchen „Avantgarde der Angst“ fällt auch der Begriff der „Gefälligkeitsforschung“ sowie der Satz „Als Prophet wird der Wissenschaftler zum Demagogen und Journalisten.“ Solche „Propheten des Elends“ würden aber nicht als „beamtete Scharlatane“ psychoanalytisch behandelt, sondern politisch und medial geadelt. Wer weiß, wie dieser neuen Ständegesellschaft zu entkommen ist, dürfte gute Chancen auf die nächste Kanzlerschaft haben.
Die Bundesregierung fördert den „Kampf gegen Rechts“ mit sage und schreibe einer Milliarde Euro. Mit ideologischen Worthülsen sollen alle Kritiker und Andersdenkenden mundtot gemacht werden.
Meine neue Tumult-Kolumne, die gern verbreitet werden kann.